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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Mössel, Julius: Die Farbe als Bauelement (Auszug): eine Betrachtung mehr für Architekten als für Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0027

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Julius ITTSffel.

\6. Entwurf zu einer Maudvertäfeluug; Salon des Herrn B. (f. die Abb. ^ u. ;s).

der konservativen Volkselemente, blieb völlig in-
different und wird so auch ferner bleiben.-

Die Proteststellung des heute der Aunst fast un-
abhängig gegenüberstehenden Handwerks und der oft
unternommene und geglückte heuchlerische Versuch,
durch Aneignung modischer Äußerlichkeiten, seichtester
Entlehnung und Übertragung seine Arbeit als
Exempel für die Araft der Aufnahme künstlerischer
Tendenzen dem Publikum zu empfehlen, sind be-
zeichnend für diese Aluft zwischen beiden und der
bedauernswerten Stellung des Aonfumenten im tiefen
Tale ungetrübter Unkenntnis.

Der Architekt war in den meisten Fällen, weil
die Praxis einen Verzicht auf die Harbe doch nicht
erlaubte, wohl oder übel auf dis unzureichenden
Hilfskräfte des Handwerks angewiesen, die selten mehr
als eine Ahnung, im besten Halle schablonenhafte
Begriffe von der Pflicht und dem Rechte der Harbe
als Bauelement und der Funktion der dekorativen
Horm hatten; denn das Gewerbe, für das früher der
Schwerpunkt in handwerklicher Tüchtigkeit gelegen
war, hatte heute weit mehr die Horm des geschäft-
lichen Betriebes angenommen. Die wahrhaft
schmückende, kleidende — nicht überkleidende — Aunft
der Horm und Harbe war aus den Werken der
Baukunst verschwunden.

Von der tiefgreifenden Bewegung an der Wende
des fß. zum 20. Jahrhundert, die sich in England
vollzog, wurde deutsche Idealität im ersten Ansturm
ergriffen. Deutscher Idealismus und deutsche Wissen-
schaftlichkeit ergriffen das Problem; die literarische

Intelligenz verbündete sich ihm. Aut fanatischem
Wahrheitseifer wurde die innerliche Verwahrlosung
der verständnislosen prunkhaften Imitation aufge-
deckt, wie sie fast das ganze vergangene Jahrhundert
von der Aümmelgotik der 30 er Jahre zur Re-
naissance unserer Mietspaläste und dem schäbigen
Rokoko der Aaffeehäuser kennzeichnet.

Das Gewissen kultureller Pflichten wurde wach-
gerufen, und es erwachte zum Aampf, zum unter-
scheidungslosen Aampf gegen alle Horm jemals le-
bendig gewesener Aultur. In der Tat war die
wesentlichste Arbeitsleistung der vergangenen Jahr-
zehnte nicht die positive Produktion, sondern die
kritische Analyse. Der Gewinn, den man schließlich
verzeichnen konnte, war der Erwerb oder die Sicher-
stellung einiger Einsichten, die in dem verwirrten
und verwirrenden Getriebe jener revolutionären
Strömung ihre Widerstandskraft bewährt hatten, die
aber von allen Einsichtigen niemals aufgegeben
worden waren. Die letzte Erziehung zur Erkenntnis
ist immer das Experiment. Solange man im gäh-
renden Werk steht, trübt die Nähe des Vorgangs
den Blick fürs Ganze. Über die verzeihlichen Ver-
irrungen des naturalistischen Stiles hinweg gelangte
man allmählich zu fortschreitender Alärung und Ge-
sundung.

In der Reibung mit dem Gegner lernte man
seine in Vergangenheit und Leben reichenden Wurzeln
kennen. Die Bewegung, die in ihren Anfängen
eine rein kunstgewerbliche war, also ihr Problem
lediglich in der Gestaltung kleiner Einzeldinge sah,

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