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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Steinlein, Stephan: Über Konventionen, Traditionen und Moderne
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0095

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Arbeiten von Hermann Schwabe, Nürnberg.

Die heutigen formen des Erwerbslebens, die
oft in kurzen Jahrzehnten bedeutende Vermögen auf-
zuhäufen erlauben, haben die 'Klüfte zwischen den
Ständen nur vertieft, die Abstände einzelner Gruppen
erweitert, statt sie zu überbrücken. Nicht einmal ober-
flächlich gesellschaftlich, bei gelegentlichen Festlichkeiten,
die nichts im Sinne des Zusammenschließens bedeuten,
lösen sich die Gegensätze zwischen den einzelnen Ständen.
Scharf ausgeprägt zeugen sie dafür, wie fern selbst
unter den in sicherem Besitz Verankerten das Ideal
einer Konsolidierung im Grunde ist. Von oben bis
unten hin sind Sonderungstendenzen in vielgestaltigster
Form spürbar und wirksam. Achtsam hält sich das
fl)atriziat fern von den emporgekommenen fremden,
reich gewordenen Fabrikanten und erfolgreichen Händ-
lern. Soweit von eingesessenem Bürgertuin ernstlich
noch die Rede sein kann, ist die gleiche abweisende
Haltung gegen den zugezogenen Fremden und mehr
noch gegen den Fabrikarbeiter, den modernen Heloten
mit dem Zeichen der Freiheit auf der Stirn, zu gewahren.

Die Geschicke einheimischer Künstler spielen sich
in hartem Ringen inmitten solcher Absperrung pen-
delnd in tief bedauerlichen Formen ab, unnützerweise
noch erschwert, weil auch unter ihnen selbst ewige
Sonderungsgelüste zu ihrem Schaden, weniger des
einzelnen als der Situation der Gesamtheit, energische
Bindung der Einzelkräfte unmöglich machen. Dies
Koterienwesen muß auf die Gesamtheit der Laien
um so unsicherer wirken, als stetig schwankendes Urteil
ihnen ja ohnedies die Situation bedeutend erschwert,
um so mehr zum Nachteil der unsolidarischen Künstler
geratend, als jenes völlige Fehlen sicherer Tradition,
Wert und Unwert künstlerischer Schöpfungen erst
durch die von außen erfolgte Anerkennung seiner
Qualitäten bedingt wird.

Der Name, die renommierte Firma, das auf dem
Markt geachtete Warenzeichen des Künstlers, nruß
ja so, wie die Dinge heute durchschnittlich liegen, allein
jene äußerlichen Garantien bieten, den Wert des
Werkes nrit sugestiven Mitteln erweisen, den Künstler
beglaubigen, den man in gleicher Tüchtigkeit unter sich
wirkend zu besitzen, nicht zu glauben gewillt ist.
Schon daß er in der Heimat lebt, statt in den Zentren
des Kunstschaffens, macht mißtrauisch, wohl auch im
dunkeln Gefühl all dieser stillen Mpser nicht wert zu sein.

Vielleicht wäre es klug von den einander im
Renommee unnütz beunruhigenden Künstlern, gemein-
schaftlich jährlich vor den Industriellen den ge-
druckten, notariell beglaubigten Beweis zu erstatten,
daß sie auch außer den Bannmeilen des Gemein-

wesens Brot und mehr noch Schätzung zu finden
wissen, ohne Vordrängen von Namen und Person,
nüchtern gleich dem Bericht irgendeiner Gesellschaft
mit beschränkter Haftung, nur trockenster, aus ge-
schäftlichem Boden allein hergebrachter und verständ-
licher Formeln sich dazu bedienend.

Immer und immer wieder, bis zur Ermüdung
könnte betont, von hundert Seiten her beleuchtet
werden, wie das schwerste Gebrechen unserer Zeit,
die Quelle aller tiefen, aufreibenden Mißverständnisse
in nichts anderen: besteht, als in völligem Fehlen
dessen, was man um der Verfchliflenheit eines zu-
schanden gehetzten, beschmutzten Wortes kaum zu
schreiben wagt. Nichts mangelt uns als eine allen
annehmbare, gemeinschaftliche Weltanschauung. Wo
sie bestand mit ihrem notwendigen Gefolge von
Konvention und Traditionen, trug sie alle und
adelte unter den Künstlern den schwächsten und letzten,
lieh dem Laien das Gefühl der Sicherheit den Schöp-
fungen der Künste gegenüber.

Wo sie fehlt, ist das Leben aller, selbst der
charaktervollsten Persönlichkeit, iticht vor Sorge und
Not, nicht nur in materiellen Formen, und nie vor
Verkennung und Martyrium sicher. Selbst die Ge-
folgschaft, die Eingabe an irgendeinen Großen hat
um des im tiefsten Grunde beruhenden, seines eigenen
Wesens, das sich aus tausend Nöten persönliche Kon-
ventionen gestaltete, seine Gefahren. Die größten
Meister erwiesen sich unter uns als gefährliche Sack-
gassen für ihre Jünger, soweit sie solche überhaupt
an sich zu ziehen vermochten. Der Laie kam und
kommt oft genug in den Fall, für meisterlich im Sinne
eines bewunderten Großen zu halten, was im Schüler
zu nichts als leerer Formel, hohler Manier wurde.

Solcher Betrachtung und Erkenntnis gewordene
Einsicht ist um so schmerzlicher, als sie unmittelbar
vor die Relativität der eigentlich kulturschöpserischen
Konventionen führt. Namen mögen genügen, um
nochmals diese bittere Wahrheit zu bedenken:

Athen — Rom — Mittelalter.

Mit zagendem Sinnen möge noch das Zeitalter
der Renaissance dazugesetzt werden. Von da ab,
langsam, aber stetig, immer unabwehrbarer sich er-
füllend, ist unser aller Schicksal heraufgewachsen,
Freiheit und Freiheiten in Fülle bescherend, mächtige
und große Einzelne herauffördernd, den Zeiten hinter
uns undenkbar in ihrer Größe. Ein Makrokosmos
im kleinen ist jeder von uns heute. Zu gemein-
schaftlicher Bindung zeigt sich von höchster Warte
kein verheißendes, noch so fernes Ziel.

und Saaltüre und Herrenzimmer im von Petzfchen Schlößchen; nach Entwurf von Herrn. Schwabe;

ausgeführt von Joh. Adam Bald auf, Schnitzereien von Martin Weber und Aarl Rothe, Nürnberg.

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