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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

DOI Artikel:
Rauecker, B.: Die wirtschaftlichen Grundlagen des modernen Kunstgewerbes in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0342

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Die Bayerische Gewerbeschan München 1912.

voraus. Er bildet die Verdichtung der
kommenden Aufzählung von Kausalzusam-
menhängen, die sich sine ira et Studio
immer wieder eilig zu der Frage schmiegen:
Wieso? Wieso ist die Geschmacksentwick
lung der äußeren Gestaltung des Londoner
Lebens so beispiellos für Münchener Augen
und Mhren? Wieso ist cs möglich, daß
in dieser Stabt respektabelsten Wohllebens
Lärmen als Ballett getanzt werden kann,
der Bajazzo unter Leitung Leoncavallos
wimmernd und sehr schnell in 30 Minuten
stirbt, weil hinter den Kulissen die See-
löwen harren, die auch noch dran wollen?
Wieso ist es denkbar, daß ein passabler
Engländer in der indischen Ausstellung
zu einem Steinmosaik streichelnd sagt:
„Schön glatt, nicht wahr"? Und sonst
nichts. Wieso — um den Kreis enger
zu ziehen aus der künstlerischen Kultur
herein zum Kunstgewerbe — kann man
in der Stadt Ruskins, der präraffaeliten,
William Morris (und wie die seligen Kunst
gewerbler und Künstler alle heißen) durch
Tottenham Tourt Road gehen, an unge-
zählten Möbelhandlungen vorbei — HO,
50 nebeneinander ■—- ohne aber auch uur
ein anständiges pausgerät zu erblicken?
Denn „anständig" ist das Wort. Tin
Mensch, der sich mit solchem Unrat umgibt,
verdient das schmückende Beiwort „unan-
ständig". wieso, besonders frage sich dies
jeder Deutsche ist die englische Geschmacks-
kultur, von der Psalmen über den Kanal
dröhnten vor 20, 30 fahren — daß dem
erschrockenen Germanen das Schielen zu
Albion hinüber feine neue kunstgewerbliche
Blüte eintrug — wieso ist besagte Ge-
schmackskultur so wenig entwickelt worden
trotz der großen englischen Prediger einer
solchen? Wieso kam es, daß der Samen,
den die große Begeisterung derer um die
Arts and LCrafts Exhibition Society (der
Gesellschaft zur Veranstaltung von Kunst
gewerbeausstellungen) warf, in England
selbst trotz aller Anstrengungen so wenig
Früchte trug? Daß Deutschland aber und
Amerika davon ins praktisch-gesunde Erd-
reich bekamen und dem neuen Kunst-
gewerbe vorwärts halfen?

Das sind einige „Wieso's", die ich
mir selbst gestellt habe und aus die ich zu
erwidern versuche und denen zusammen-

7<n.

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