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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Neuwirth, Josef: Der kunsthistorische Kongress in Lübeck, [2]
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35

Der kunsthistorische

Kongress in Lübeck.

36

Wiederwahl zu diesem Amte abzusehen. Der An-
trag des neuen Ausschusses, der die Herrn Prof.
Dr. Schmarsow-Leipzig zum Vorsitzenden, Prof. Dr.
Neuwirth-Wien zu seinem Stellvertreter, Prof. Dr. Max
Gg. Zimmermann-Berlin zum Schriftführer und Prof.
Dr. Riehl-München zum Schatzmeister erwählte, gehe
dahin: »Der versammelte Kongress wolle dem scheiden-
den, um wichtige Bestrebungen der Kongresse hoch-
verdienten Vorsitzenden seines ehemaligen ständigen
Ausschusses seinen Dank aussprechen und ihn in
angemessener Form von dieser Ehrenbezeugung be-
nachrichtigen lassen«. Der beifälligen Annahme dieses
Antrages reihte sich die Bekanntgabe an, dass der
neugewählte Ausschuss für die Dauer seiner Man-
datsperiode von 1900 bis igoö folgende Herrn coop-
tiert habe: Prof. Dr. Clemen, Provinzialkonservator
der Rheinlande-Düsseldorf, Dr. Theodor Hach, Kon-
servator des Museums in Lübeck, Prof. Dr. Haendcke-
Königsberg i. Pr., Prof. Dr. Konrad Lange-Tübingen,
Dr. Neumann, Docent am Polytechnikum in Riga,
Prof. Dr. v. Oechelhaeuser-Karlsruhe, Prof. Dr. Pas-
teiner-Budapest, Geh. Hofrat Prof. Dr. v. Reber-
München, Geheimrat Prof. Dr. Schlie, Direktor des
Grossherzogl. Museums in Schwerin, Prof. Dr. Hans
Semper-Innsbruck und Prof. Dr. Max Georg Zimmer-
mann-Berlin.

Sodann referierte Herr Geheimrat Dr. Schlie über
die Beratung der im Anschlüsse an den Vortrag Cle-
men eingebrachten Resolutionen Voss und Semper.
Die Kommission schlage vor, dass der Kongress mit
allen Punkten der in Strassburg 1899 gefassten Re-
solution des Gesamtvereines der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine sich einverstanden erkläre und
auch seinerseits die Hoffnung ausspreche, es möchten
die darin niedergelegten Grundsätze baldthunlichst zur
allgemeinen Anerkennung und Durchführung gelangen.
Im Anschlüsse daran hob die zur Annahme empfoh-
lene Resolution mehrere Grundgedanken hervor, wel-
che im Einvernehmen mit dem Gesamtvereine der
deutschen Geschichts- und Altertumsvereine für die
zu erlassenden gesetzlichen Vorschriften in Vorschlag
gebracht werden sollten. Die praktische Durchfüh-
rung des Antrages Semper betreffs der Freskenrestau-
rierung wurde einer Kommission zugewiesen, in welche
der Kongress ausser dem Antragsteller die Herren
Prof. Dr. Haupt, Provinzialkonservator in Eutin, und
Baurat Dr. Steinbrecht in Marienburg entsandte.

Nach Erörterungen über die vom Ausschusse be-
absichtigte neue Drucklegung der Kongresssatzungen
im Anhange des diesjährigen Kongressberichtes und
über die Erspriesslichkeit, Anträge von grösserer Trag-
weite mindestens 48 Stunden vor der Beratung
anzumelden und vorzulegen, kam Herr Dr. Ladislaus
Eber-Budapest zum Worte. Sein Vortrag galt den
Resten der »Renaissanceskulpturen in Ungarn«, die
der Redner, von der Ofener Königsburg ausgehend,
gut charakterisierte; er hob dabei mit Nachdruck nicht
nur die Einflüsse italienischer Kunst, sondern auch
wiederholt die Ausführung durch italienische Meister
hervor.

Die Reihe der Vortragenden schloss in überaus

ansprechender Weise der Direktor des Leipziger Buch-
gewerbe-Museums, Herr Dr. Rudolf Kautzsch, Privat-
dozent an der Universität Leipzig, mit einem Vortrage
über »Matthias Grünewald«. Im wesentlichen lassen
sich die ungemein lebendig vorgetragenen und höchst
wirkungsvollen Darlegungen, denen ein reiches, vom
Vortragenden auch stets entsprechend herangezogenes
Abbildungsmaterial in hohem Grade zu statten kam,
beiläufig in folgende Zusammenfassung bringen:

Es handelt sich zunächst um die Frage nach der
Jugend Grünewald's. Diese Frage kann aber, wie
sich ergeben wird, nicht ohne tieferes Eingehen auf
das ganz Besondere in Art und Kunst des grossen
mittelrheinischen Meisters überhaupt erörtert werden.

Seit H. A. Schmidt's Würdigung Grünewald's im
Basler Festbuch 1894 haben sich Franz Nieffel (in
der Zeitschrift f. christl. Kunst 1897) und Henri Thode
(im Jhb. der Kgl. Preuss. Kunst-Sammlungen 1900)
über die Jugendfrage ausgesprochen. Beide gehen
von der Voraussetzung aus, Grünewald müsse die
Einwirkung der Kunst Dürer's erfahren haben. Nieffel
schreibt Grünewald darauf hin die sog. sieben Schmer-
zen Mariä in Dresden, weiter eine Anzahl Zeichnun-
gen und Holzschnitte aus dem engeren und weiteren
Bannkreise Dürerscher Kunst zu. Thode giebt ihm
zwar nicht diese, wohl aber den Mainzer Dreikönigs-
altar und zwar Vorder- und Rückseite.

Dem gegenüber ist darauf hinzuweisen, dass Dürer's
Kunst wesensverschieden von der Grünewald's ist.
Dessen frühestes einigermassen sicheres Bild, eine
Kreuzigung in Basel, zeigt die spätere entwickelte
Kunst des Meisters schon ganz deutlich, und zwar
ohne jeden Einschlag Dürer'scher Art. Grünewald
sieht überall in Licht und Farbe abgestufte Flächen,
die malerische Silhouette. Die Farbe ist ihm dabei
von Anfang an Mittel zum Zweck eindringlicher
Schilderung. Dürer sieht und malt Organismen, in
ihrem organischen Zusammenhang erfasste Körper,
deren Struktur er betont. Seine Darstellung ist plasti-
scher, man kann das moderne Wort saillant auf sie
anwenden. Die Farbe ist ihm unwesentliche Zuthat,
Mittel zu erhöhter Plastik, zu lebhafter, erfreulicher
Wirkung.

Es ist undenkbar, dass Grünewald die Einwirkung
dieser Kunst erfahren hätte. Von seinem kleinen Bilde
in Basel an entwickelte er sich einheitlich weiter, ja
seine Kunst gewinnt an plastischem Charakter, freilich
auf andere Weise als die Dürer's. Hätte er jene von
Nieffel und Thode ihm zugeschriebenen Bilder gemalt,
so müssten wir annehmen, er habe etwas besessen,
was er dann ganz und gar, spurlos abgestreift, sich
aber allmählich auf seine Weise wieder zu eigen ge-
macht hätte. Nichts nötigt zu dieser Annahme. Viel-
mehr werden wir die Heimat der Kunst Grünewald's
am Mittelrhein suchen müssen, wo sich zwar keine
einigermassen wahrscheinlichen Jugendbilder des
Meisters, wohl aber Schulbilder aus dem Kreise, aus
dem auch er erwuchs, nachweisen lassen.

Nach Abstattung des Dankes an den Vortragen-
den erklärte Prof. Dr. Dietrichson die Verhandlungen
des kunsthistorischen Kongresses in Lübeck für ge-
 
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