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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0131

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245

Pariser Brief.

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licher halb karikaturistischer Art behandelt Eugen Cadel ein
Ritterabenteuer, wo man den Drachen, den Ritter und das
Ross tot übereinander liegen sieht, ein Anblick, der gar
nicht grausig, sondern belustigend wirkt. Von Cadel ist
ausserdem eine sehr hübsche bretonische Abendlandschaft
in der Pünktchenmanier Henri Martins da, und überhaupt
ist diese Ausstellung reicher an interessanten Landschaften,
denn an bemerkenswerten Porträts. Voll poetischen Reizes
sind die bretonischen Scenen von Legout-Oerard, die hol-
ländischen Ansichten von Henri Quinier, die saftigen
Berge und Seen Savoyens von Toudouze und die eigen-
artigen Gebirgsthäler Buffet's, der seinen seltsam grün-
lichen Himmeln die Transparenz des unermesslichen Äthers
zu geben versteht. Auch Tattegrain, der sonst immer in
Blut und Brand, Mord und Schrecken schwelgt, und die
Greuel des Krieges, der Hungersnot, des Schiffbruches mit
wahrem Behagen auf Riesenbildern darzustellen pflegt, ist
mit einem kleinen friedlichen Bildchen erschienen, wo im
idyllischen Buschwerk nur ein winziger Jägersmann an
Blut und Mord erinnert. Bouguereau ist mit zwei Bildern
vertreten, zwei echten Bouguereaus. Der eine heisst
»Yvonne« und zeigt uns ein kleines, aus glattem Porzellan
gebautes Bauernmädchen, das einen baumwollenen Kittel
aus glänzender Seide trägt, auf einer porzellanenen Holz-
oder Steinbank sitzt und den Rücken an ein Porzellanhaus
lehnt. Das andere Bild betitelt sich »Der fliehende Amor«
und stellt einen geflügelten Jungen ohne Epidermis dar,
der sich von einem mit der gleichen Krankheit behafteten
nackten Mädchen verabschiedet. Die Skulptur enthält
nichts Bemerkenswertes, es seien denn die kleinen Wachs-
arbeiten von Stanislaus Lami und die Büsten von Denys
Puech. — Bei Georges Petit sind nahezu 300 moderne
Miniaturporträts ausgestellt, und wenn die Veranstalter
dieser Ausstellung beabsichtigten, den Rückgang dieses
Kunstzweiges gründlich darzuthun, so haben sie einen
schönen Erfolg zu verzeichnen. Es ist da auch nicht eine
einzige Arbeit, die man mit gutem Gewissen hervorheben
und nennen könnte. Seit der Erfindung der Photographie
ist die Miniaturmalerei stetig zurückgegangen, und jetzt
wird sie fast ausschliesslich von müssigen Damen zum
Zeitvertreib ausgeübt.

Bei Durand-Ruel, wo die französischen Impressionisten
gewöhnlich ausstellen, sind gegenwärtig eine Anzahl neue
Arbeiten von Camille Pissarro zu sehen. Die Hälfte der
zweiundvierzig ausgestellten Gemälde sind Ansichten aus
Paris, oder genauer aus dem Tuileriengarten. Sie sind
sämtlich vom nämlichen Standpunkte, von einem Fenster
in der rue de Rivoli, aufgenommen, stellen so ziemlich
den nämlichen Teil des Gartens dar und entbehren in-
folgedessen nicht einer ermüdenden Eintönigkeit, wenn
man sie, wie jetzt bei Durand-Ruel, alle zugleich neben-
einander sieht. Zu dieser Eintönigkeit trägt das Grau in
Grau bei, welches die Städtebilder Pissarro's und Raffaelli's
auszeichnet. Die übrigen Arbeiten sind teils Landschaften
aus der Umgegend des Örtchens Eragny, wo Pissarro den
Sommer zu verbringen pflegt, teils Ansichten des Hafens
und der alten Gassen von Ronen. Aus allen diesen Bildern
scheint mir die schon bei frühern Ausstellungen dieses
Künstlers gewonnene Ansicht bestärkt zu werden, dass
Pissarro zwar ein grosser Maler ist, der den Eindruck der
Natur mit Meisterschaft wiederzugeben versteht, dass er
aber nicht, wie Claude Monet, mit dieser mehr technischen
Begabung auch das poetische Empfinden besitzt, oder
wenigstens ist ihm die Poesie bei weitem nicht so ver-
traut wie Monet oder, um noch einen Impressionisten zu
nennen, wie Renoir. Diese beiden sind nicht nur grosse
Maler, sondern auch grosse Dichter, und man braucht nur
einen Blick auf ihre ebenfalls bei Durand-Ruel hängenden

Bilder zu werfen, um den Unterschied zwischen ihnen und
Pissarro wahrzunehmen. Damit soll jedoch nicht gesagt
sein, dass den Werken Pissarro's jegliche Poesie abzu-
sprechen ist. Sein Sonnenuntergang in Rouen erinnert in
seiner überwältigenden Farbenglut an die phantasievollsten
Schöpfungen Turner's, des grossen englischen Koloristen,
und die Rue de l'Epicerie kann sich ungescheut neben
den besten Monet's sehen lassen. Die Ausstellung enthält
auch zwei Stillleben, meiner Ansicht nach die schwächsten
Nummern der Sammlung. Die Bilder aus Eragny zeigen
uns eine ganz abscheulich grüne Gegend. Ein solches
spinatgrünes Bild für sich allein dürfte wohl erträglich
oder gar angenehm wirken, zumal die Wahrheit des Natur-
ausdruckes vollkommen ist. Aber bei Durand-Ruel hängen
zehn solche Bilder nebeneinander, und das ist des Guten
zu viel.

Louis Soullie, der Verfasser der „Bibliographie des
ventes du ig siecle", hat ein neues Buch veröffent-
licht, worin er die von den Arbeiten Millet's erzielten Preise
bespricht, nachdem er im vorigen Jahre eine ähnliche Ar-
beit über den Landschafter Troyon publicirt hatte. Ausser
einer kurzen Beschreibung und Würdigung des Lebens und
der Werke Millet's von Paul Mantz enthält das 270 Seiten
starke Werk die eingehende Beschreibung der 1045 Ar-
beiten Millet's, die von 1849 bis zum März 1900 öffentlich
verkauft worden sind, samt den bei allen Verkäufen er-
zielten Preisen. Es ist von hohem Interesse, die nach-
einander für dasselbe Werk gezahlten Preise hier in einer
Zusammenstellung zu finden. Am bemerkenswertesten ist
hier der durch die vervielfältigenden Künste in aller Welt
bekannt gewordene „Angelus" (Abendläuten). Dieses Bild
war von einem Amerikaner bestellt, der dafür 1500 Fran-
ken zahlen sollte, wurde aber von Millet für 1000 Franken
an den Amateur Papeleu verkauft, von dem es privatim
an Arthur Stevens verkauft wurde. Von Stevens ging es
in den Besitz von van Proet über und von da 1864 an
Paul Tesse, der es für 1800 Franken an Gavet verkaufte.
Gavet erhielt von dem bekannten Kunsthändler Durand-
Ruel 12000 Franken, und für 38000 gelangte der Angelus
an J. Wilson. Als die Sammlung Wilson's im Jahre 1881
versteigert wurde, kaufte der Händler G. Petit das Bild
für 160000 Franken, und bei der Versteigerung der Samm-
lung Secretan im Jahre 1889 wurden 553000 Franken er-
zielt. Diese Summe war von Antonin Proust im Auftrage
einer Anzahl Kunstfreunde geboten worden, in der Vor-
aussetzung, dass der Staat, dem man das Bild schenken
wollte, einen gehörigen Zuschuss machen würde. Als sich
diese Hoffnung nicht erfüllte, kaufte die New Yorker „Art
Association" das Bild zum nämlichen Preis. 1890 erwarb
H. Garnier das Bild und verkaufte es für 800000 Franken
an den Pariser Chauchard, nach dessen Tode es dem
Louvre gehören wird.

Der in der Societe des Artistes frangais ausgebrochene
Streit hat mit der Wiederwahl des bisherigen Ausschusses
geendet. Diesen Sieg hat der Ausschuss jedoch der That-
sache zu verdanken, dass er das Programm seiner Gegner,
soweit es positive Forderungen enthielt, einfach adoptierte
und somit dem Feinde den Wind aus den Segeln nahm.
Der Streit war dadurch entstanden, dass der Vorstand der
Gesellschaft sich und seinem engern Anhang auf der
Weltausstellung fast allen verfügbaren Raum gesichert
hatte, so dass für die misera plebs kein Platz war. Die
wichtigste der positiven Forderungen, worin beide Parteien
einig sind, besteht in der Beschränkung des fremden
Elementes. Ausländer dürfen hinfort im Salon der Artistes
francais nur je ein Bild ausstellen, während den Franzosen
die doppelte Zahl zugestanden bleibt. In der jüngern Ge-
sellschaft, der Societe nationale des Beaux-arts herrscht
 
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