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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Schölermann, Wilhelm: Ältere und neuere Kunst in Hamburg, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0210

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403

Altere und neuere Kunst in Hamburg.

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allzugrosses Streben, in der Malerkunst etwas Ausser-
ordentliches zu leisten, untergrub seine Gesundheit,
und er starb an Entkräftung im eben vollendeten
sechsundzwanzigsten Lebensjahre in den Armen
seiner ihm zur Hilfe geeilten Brüder.

Hamburg, den 1. März 1830.
Das zweite Dokument wiegt noch weit schwerer,
denn es ist der^ Aufschrei einer einsamen, tragischen
Faustnatur, die in vergeblichem Ringen nach Er-
lösung in sich zerbricht. Es ist ein Gedicht, das
im Nachlass des Frühverstorbenen aufgefunden wurde.
Die VerseYfangen an mit einem sehnsüchtigen Lob-
gesang auf^die Liebe, deren erlösendes, rätselhaftes
Glück ihm versagt geblieben, um dann mit einem
düster-dramatischen Ausbruch der Todesahnung zu
schliessen:

Die Thür ist hinter dir verschlossen.
Auf der Verzweiflung wilden Rossen
Wirst du durchs öde Leben hingejagt.
Da sinkst du in die ew'ge Nacht zurück,
Siehst tausend Elend auf dich zielen,
Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen.
Nur erst im ausgelöschten Todesblick
Begrüsst voll Mitleid dich das erste Glück.

Als Oldach starb, war er kaum zum Mannesalter
gereift, als Künstler hatte er aber schon frühreife
Früchte mit treibhausartiger Triebkraft aus sich heraus
gepresst, die innerhalb des kurzen Zeitraums von neun
Jahren entstanden sind. Ein mannhafter, klarer Geist
spricht aus seinen Bildern und Zeichnungen, welche
alle technischen Schwierigkeiten in nie ermüdendem
Arbeitsdrang überwinden mit einer Sicherheit und
Energie, der keine Spur von Zweifel oder Sentimen-
talität anhaftet. Das Beste, was er schuf, waren die
ersten und die letzten Arbeiten, die in Hamburg ent-
standen. Dazwischen machte er zwei tiefgreifende
innere Krisen durch: die akademische Krisis (in
Dresden) und die »Cornelius-Krisis« in München.
Als er kaum von der letzteren wieder auf dem heimat-
lichen Boden genesen, brach sein Lebensfaden jäh ab.

Für mein Empfinden liegt Oldach's Bedeutung
im Bildnis und in der heimatlichen Landschaft, bei
der man das zum Gemeinplatz ausgeschlachtete Wort
Erdgeruch im besten, nämlich im lokalen Sinne
anwenden darf.

Im Porträt war er Meister, ehe er Schüler wurde.
In einem wohlhabenden Bürgerhause aufgewachsen,
durfte er frühzeitig seiner Neigung sich widmen, da
ihm vom Vater, einem ehrenfesten, angesehenen Bäcker-
meister, keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden.
So konnte der Jüngling, wie Jung-Rembrandt einst
gethan, beim Selbstkonterfeien Hand und Blick üben.
Seinem Werdegang im einzelnen zu folgen, würde
hier zu weit führen, nur ein paar Haltestellen am
Wege können wir im Vorübergehen betrachten. Das
erste Selbstbildnis datiert aus dem sechzehnten Lebens-
jahr (1819), eine Kreidezeichnung (aus dem Spiegel
genommen), in deren Zügen schon alles im Keim
enthalten ist, was an Zukunft in Oldach war, hätte
er länger sich ausleben können. Aufrechte Haltung, I
grosser fester Blick, Stirn und Schädelbildung wie |

ein Domgewölbe, das Ohr in den feinsten Muschel-
linien angelegt. Wangen länglich aber noch aus-
gefüllt, die Lippen ausdrucksvoll und im weichen
Jugendschmelz geschlossen. Aus den geraden Linien
der Augenbrauen, die fast im rechten Winkel zum
Nasenrücken stehen, spricht scharfer kritischer Blick
und Entschlossenheit. Es ist die veredelte Kopfform
des Vaters, den der Sohn auch zu wiederholten Malen
gemalt hat. Solche Köpfe gehören Menschen an, die
wohl brechen, aber sich nicht biegen.

Das zweite Selbstbildnis ist ein Ölgemälde aus
dem siebzehnten Jahre. Eine innere Wandlung wird
hier schon mit fast erschreckender Deutlichkeit sicht-
bar: die runden Knabenwangen sind eingefallen, die
Stirn und Augenbrauenbogen kantig, das dichte
trockene Haar liegt fast schwer auf den Schläfen;
der Kiefernbogen läuft spitz zum Kinn, vom Nasen-
flügel beginnt schon die Schmerzensfalte ihre Spur
zu den Mundwinkeln herunter zu graben, unter der
Haut der Finger, die den feinen Pinsel halten, fühlt
man die Knochen durch; der Blick ist bohrend, fast
stechend geworden. Zwischen den Augen die vertikale
Falte spitz nach oben, von ruheloser Anspannung
zusammengezogen; stark abfallende Schultern, deren
schmaler Eindruck noch erhöht wird durch den weichen
weissen Kragen, der, leuchtend die dunkle Maljacke
überschneidend, Stofffarbe und Fleischton trennt.

Wer zwischen den Linien und Farben dieses
ersten Ölbildes von Oldach zu lesen versteht (die
Reproduktion, siehe pag. 35 im Buch Julius Ol-
dach, Verlag der Kunsthalle zu Hamburg 1899, giebt
das Ganze zu schwarz wieder), der spürt schon bei
diesem jungen Ritter die Knochenhand, die hinter
ihm lauernd aus dem Dunkel hervorgreift, um diesen
vornehmen Langschädel zu zerschmettern.

Oldach war einer jener Überbegabten, die nicht
alt werden, weil sie durch ihre eigenen Schöpfungen
innerlich aufgezehrt werden, ein Zerreibungsprozess,
bei dem die Seele, während sie leuchtende Flammen-
garben ausstösst, zum Scheiterhaufen niederbrennt.
So war auch er niedergebrannt, körperlich und seelisch,
nachdem er glänzend seine selbstgestellten malerischen
Aufgaben gelöst hatte. Kolorit, Luft, Licht und Hell-
dunkel waren für ihn nicht Rezepte, die man aus-
wendig lernt, sondern weil er noch nicht wusste,
wie man das »machen muss«, suchte er allein mit
diesen Aufgaben vor der Natur zu ringen und fand
für jedes Empfinden seinen eigenen Ausdruck. So
überflügelte er in wenigen mächtigen Anläufen alle
Leistungen der älteren Malergeneration, die damals in
Hamburg thätig war, selbst den vielbeschäftigten
Gröger, der in Paris studiert hatte und dessen gemalte
und lithographierte Bildnisse zum besten zählen, was
derzeit in Deutschland im Porträt geleistet wurde.
Nur Erwin Speckter hat in jungen Jahren annähernd
Gleichwertiges gemalt (die Porträts seiner Eltern).
Die Beherrschung technischer Schwierigkeiten war
damals ausserordentlich früh ausgebildet bei den
jungen Malern, während sie in ihrem eindrucksfähigen
Bildungsprozess nicht durch den alljährlichen Ansturm
fremder und reiferer Kunst bedroht wurden. Zeit-
 
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