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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0237

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457

Bücherschau.

458

ganz in Nachahmung aufgingen, sondern mit Wahrung
ihrer Selbständigkeit bei Mit- und Nachwelt ihre besondere
Geltung zu behaupten wussten«. (S. 91.) Dadurch ge-
winnt dieser monumentale Freskenschmuck noch beson-
deres Interesse. Als eines der bedeutendsten und für das
böhmische Kunstleben unter Karl IV. charakteristischsten
Denkmäler wird der Bilderschmuck des Emauskreuzganges
von nun an eine hervorragende Stellung in der Kunstge-
schichte des späten Mittelalters behaupten. —

Noch wertvoller in mancher Beziehung ist die zweite
Veröffentlichung des Verfassers, dem wir schon so viele
umfangreiche Publikationen mittelalterlicher böhmischer
Kunstdenkmäler verdanken. Es handelt sich um das
Skizzenbuch eines mittelalterlichen Malers, das aus dem
Besitze Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig-Lüne-
burg-Bevern (1636—1687) ins Braunschweiger Museum
gelangt ist und dort als ein Schatz von besonderem
Werte gehütet wird. Leider sind von den ursprünglich
44 Blättern des Buches nur noch 31 darin enthalten.
Sie führen uns flott mit der Feder gezeichnete Gestalten
von Heiligen, von thronenden Herrschern und Herrsche-
rinnen und endlich zahlreiche Liebesscenen vor. Nicht um
Entwürfe handelt es sich augenscheinlich die der Zeichner
etwa für eigene Schöpfungen hier niedergelegt hat, —
wenigstens kann diese Möglichkeit nur für einige wenige
Gestalten aufrecht erhalten werden —, sondern um Kopien
nach schon vorhandenen Werken der Malerei und zum Teil
wohl auch der Plastik. Eine Identifizierung mit erhaltenen
Kunstwerken ist allerdings bis jetzt noch nicht möglich ge-
wesen. Mancherlei Verbindungsfäden weisen nach Böhmen
hin, so dass Neuwirth wohl mit Recht in diesem Skizzen-
buche die Arbeit eines in Böhmen thätig gewesenen Meisters
erblicken durfte. Die Nachbildungen thronender Herrscher-
gestalten erinnern an die des verlorenen und nur in
späteren Kopien erhaltenen luxemburgischen Stammbaumes
aus Karlstein, den Neuwirth im Jahre 1897 herausgegeben
hat. Die Tracht und mancherlei in der Auswahl der Dar-
stellungen weist in die erste Hälfte der Regierungszeit
König Wenzel's, also in die letzten Jahrzehnte des 14. Jahr-
hunderts. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hat
dann eine plumpe Hand auf einer grossen Zahl von
Blättern willkürliche Änderungen angebracht, hat die
Tracht modernisiert und vor allem eine Reihe obscöner
Bezüge in die Scenen hineingetragen, wohl um dadurch
das Skizzenbuch leichter und höher verkäuflich zu machen.

Bei der grossen Seltenheit von erhaltenen Handzeich-
nungen und vollends zusammenhängenden Skizzenbüchern
mittelalterlicher Meister gewinnt dies Braunschweiger
Skizzenbuch eine ganz hervorragende Bedeutung, nicht so-
wohl in stilgeschichtlicher Hinsicht, denn sein Meister ragte
kaum über den Durchschnitt hervor, als vielmehr durch die
Art des künstlerischen Arbeitens und die Auswahl der Dar-
stellungen. Aus dieser können wir zunächst entnehmen, dass
die häufigsten Aufträge für den Meister gewesen sein
müssen: Heiligenbilder und Passionsscenen, Minnescenen
und Herrscherbilder. Namentlich für Kreuzgruppen und
Ölbergscenen sind die Vorzeichnungen zahlreich. Die Ge-
stalt des in Gethsemane im Gebete ringenden Christus hat
den Künstler so intensiv beschäftigt, wie hundert Jahre
später einen Dürer. Es ist ja auch die Zeit, in der fast
jede Stadt ihren grossen plastischen »Ölberg« besitzen
wollte, wie deren noch heute eine ganze Reihe, nament-
lich in süddeutschen Städten und Flecken, erhalten sind,
— die Zeit, in der überhaupt die Passion immer mehr in
den Mittelpunkt der künstlerischen Darstellung tritt.

Häufig kommt auch der Apostel Johannes unter den
Gestalten des Braunschweiger Skizzenbuches vor, in den
verschiedensten Stellungen und Zusammenhängen, meist

aber unter dem Kreuze stehend gedacht. Für den grossen
Modeheiligen der Zeit, den Riesen Christophorus, finden
sich drei verschiedene Vorbilder aufgezeichnet.

Demnächst nehmen die Minnescenen den breitesten
Raum ein, Darstellungen von Liebespaaren oder auch von
drei durch den gewaltigen Eros zu einander in Beziehung
gesetzten Personen in den allerverschiedensten Stadien der
Unterhaltung, Werbung, Umarmung.

Das eigentlich Reizvolle ist nun, von Fall zu Fall zu
beobachten, was dem Künstler an seinen Vorbildern als
das Charakteristische, d. h. als das für seine Zwecke speziell
Wertvolle erschien. Kompositionelle Gedanken waren
es nicht. Denn eine grosse Anzahl der Gestalten sind
völlig isoliert gegeben. Und auch wo zwei oder mehr
Personen zu einander in Beziehung gesetzt sind, handelt
es sich nicht um abgerundete Scenen, sondern lediglich
um die einzelnen Gestalten. Alles Beiwerk, Fussboden,
Thronsessel, Stühle etc. wird weggelassen, so dass die Ge-
stalten oft in ganz unmöglichen Stellungen in der Luft zu
schweben scheinen.

In erster Linie interessieren unsern Zeichner an den
Vorbildern, die er mit fleissigem Stifte in sein Buch notiert,
die Bewegungsmotive. Namentlich die Figuren des Christo-
phorus und die im Ölgarten schlafenden Jünger sind dafür
charakteristisch. Bei den in lebhafter Unterhaltung be-
griffenen Liebespaaren tritt dann noch die höchst aus-
drucksvolle Gebärdensprache hinzu. Sie ist so scharf
accentuiert, dass sich der Gesprächsstoff aufs deutlichste
erraten lässt. Bei ruhigen Scenen oder stillstehenden Ein-
zelpersonen ist es die wirkungsvolle Anordnung der Falten-
züge der Gewandung, die sich der Zeichner sorgfältig
vermerkt. Hand in Hand damit geht die treue und um-
ständliche Wiedergabe des Kostüms, — wodurch das
Skizzenbuch auch nach dieser Richtung hin besonderen
Wert erhält. Endlich fesselt den Zeichner, aber doch erst
in dritter Linie, der Gesichtsausdruck. Die grosse Un-
gleichheit in dieser Beziehung, — neben seelisch ausser-
ordentlich fein durchgearbeiteten Köpfen stehen unver-
mittelt geradezu rohe Machwerke mit flüchtigster Um-
schreibung, — erklärt sich wohl am einfachsten aus der
Verschiedenheit der Vorbilder, die der Zeichner zur
Verfügung hatte. Er scheint sich in jedem einzelnen
Falle ziemlich eng an sein Vorbild gehalten zu haben,
denn nur so ist die grosse Verschiedenheit auch im ganzen
Aufbau der Gestalten, in Grösse und Form der Hände
und Füsse, in der Bildung des Gesichtes und der Wieder-
gabe seiner Einzelheiten zu erklären.

Schade, dass es uns nicht vergönnt ist, nun zu ver-
gleichen, in welcher Weise der Maler diese mannigfachen
Vorlagen in eigenen Schöpfungen selbständig verwertet
hat. Dann erst würde sich ein endgültiges Urteil über
seine künstlerische Befähigung fällen lassen. Aber auch
so bleibt dies Skizzenbuch ein in seiner Art unschätzbares
Dokument des Kunstbetriebes im ausgehenden Mittelalter,
besonders charakteristisch für das naive Weiterverarbeiten
von einmal gefundenen Formen. Durch sorgfältige Ab-
wägung der künstlerischen und kulturgeschichtlichen Be-
ziehungen gelangt der Herausgeber zu dem Schlüsse, der
Meister des Braunschweiger Skizzenbuches möge, — von
Herkunft vielleicht ein Schwabe —, in den Jahren zwischen
1380 bis etwa 1400 auf böhmischem Boden sein Skizzen-
buch mit den Zeichnungen gefüllt haben, die nun in aus-
gezeichneten Lichtdrucken uns vorliegen. Dem Vereine
für Geschichte der Deutschen in Böhmen, in dessen Auf-
trage die Herausgabe erfolgte, gebührt unser wärmster
Dank, nicht minder wie dem fleissigen Herausgeber.

Paul Weber.
 
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