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Der IX. internationale kunsthistorische Kongreß in München
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die Namen international verständlich, eindeutig sein
und sich mit dem Umfang der Malerpalette decken.
Alle bisherigen Benennungen der Volkssprache, die
technischen Ausdrücke der Optik oder der Fabriken
sind im einen oder anderen Punkt ungenügend. Am
geeignetsten wäre der Ausbau der Goethe-Helmholtz-
schen Farbenbenennung unter Hinzuziehung eines
erst jüngst erfundenen Apparates von Kailab zur
Farbenanalyse. Auf diese Weise käme eine Art Formel
zustande, die international verständlich, jede Nuance
der Farbe wiedergäbe.
E. Verga (Mailand) legte dem Kongreß den 5. Band
der Raccolta Vinciana vor. Im Jahre 1905 wurde in
Mailand eine Gesellschaft von dem Senator Beltrami
gegründet, um die Leonardoforschung zu zentrali-
sieren, die an Intensität und Fülle bereits zu einer
eigenen Disziplin vorgeschritten war. Die Mitglieder
dieser Oesellschaft stellen der Raccolta Bücher, Stiche,
Bilder, kurz alles Material zur Verfügung, das auf die
Kenntnis des Lebens und Wirkens von Leonardo da
Vinci Bezug hat. Die Gründung Beltramis, zu der
Venturi mit seinen Studien über Vincische Manuskripte
den ersten indirekten Anstoß gab, erfreut sich in und
außerhalb von Italien, namentlich auch in Deutsch-
land großen Interesses, so daß die Raccolta mit dem
auf dem Kongreß vorgelegten 5. Band aus 950 Bän-
den und kleineren Schriften, sowie 660 Stichen und
Photographien besteht. Der Kongreß beschloß, die
Raccolta aufs eifrigste zu unterstützen.
Außer dem bereits genannten mehr programmati-
schen Vortrag über die Stellung der Kunstgeschichte
sprach Venturi noch über die gotische Malerei in
Italien im Anfang des 1'5. Jahrhunderts. Venturi wies
auf die Beziehungen hin, die zwischen Deutschland
und Italien in der gekennzeichneten Epoche bestanden.
Er ging auf einzelne Meister ein, so auf Giovanni
d'Allemagna, den er nunmehr mit der Nürnberger
Schule zusammenbringt. Einem ähnlichen Zwecke
dienten Gerolas (Verona) Ausführungen, der, um die
Wechselbeziehungen der Länder diesseits und jenseits
der Alpen zu beleuchten, einiges über die Porträts
und Wappen von deutschen Edelleuten mitteilte, die
sich auf den Fresken der Kirche San Oiorgetto in
Verona finden.
Destree (Brüssel) (Recherches sur les auteurs de
tapisseries flamandes du XV et XVI siecle) spricht
den Wunsch aus, es möchten möglichst viele Teppiche
reproduziert werden. Die Wandteppiche hängen aufs
engste mit der Malerei zusammen; ihre Kartons oder
Zeichnungen rühren oft von den bedeutendsten Malern
her. Bei sorgfältigem Studium der Teppiche kann
man bisweilen deren Meister entdecken, wenngleich
eine große Zahl von Teppichen anonym bleiben wird,
da es zahlreiche Maler gegeben haben muß, deren
Namen wir nicht kennen, die lediglich für Teppiche
gearbeitet haben. Dies tritt uns besonders im 15. und
16. Jahrhundert entgegen. Destree weist auf Teppiche
mit Darstellungen der Peterslegende hin, die für Wil-
helm von Holland, Bischof von Beauvais, ausgeführt
wurden. Sie scheinen mit dem Meister von Flemalle
(alias Robert Campin) verwandt zu sein. Man weiß,
daß dieser Meister eine Geschichte des hl. Petrus auf
Leinwand gemalt hat. Destree stützt diese Behaup-
tung auf Analogien mit Gemälden, die im Städel-
institut aufbewahrt sind, und mit dem Teppich von
Herkenbold, der nach einem Karton Rogers van der
Weyden, einem Schüler von Robert Campin, ange-
fertigt wurde. Hugo van der Goes schrieb der Redner
eine kleine Anbetung der Weisen, Justus von Gent
(Josse van Wassenhoven) einen Teppich in Boston
zu. Schließlich brachte er den berühmten Teppich
von Pierpont Morgan mit Teppichen im Museo
Poldi Pozzoli und zwei anderen in Zusammenhang,
die noch im Privatbesitz sind.
B. Riehl (München) berichtete über seine Rokoko-
studien im Donautal. Er konnte dabei zeigen, wie
gewisse Gebiete auch im Zeitalter des Rokoko trotz
der Beeinflussung durch fremde Elemente, aus den
empfangenen Anregungen eine selbständige Kunst ent-
wickelt haben. Dies gilt besonders für das schwäbische
Stammesgebiet des Donautals, weniger für das baye-
rische, das von der Zentrale München ungleich ab-
hängiger war, als das schwäbische. In diesem ist der
Zusammenhang mit den Kunstschulen von München
und Augsburg ein sehr loser. Vermittlerin war die
Wessobrunner Schule. Aus ihr zogen einzelne Künstler
in das Donautal, gründeten kleinere Filialzentren, die
eine Blüte der lokalen Kunst, besonders des Kunst-
gewerbes (z. B. Dillingen) hervorriefen. So entwickelte
sich das Rokoko als etwas Organisches aus dem
Barock, indem die neuen Kulturelemente im Volk
hafteten; ebenso natürlich wächst später das Rokoko
in den Klassizismus hinüber. Es zeigt sich ferner,
daß die Bedeutung des Rokokoarchitekten gewöhnlich
viel zu niedrig eingeschätzt wird; dieser will wesent-
lich anderes, als der Architekt des Barock, an den er
anknüpft. Seine Anlage ist großzügig und klar, sein
Raumgefühl entwickelter, insbesondere ist die Be-
leuchtung sehr fein durchdacht. In den Kirchen von
Günzburg und Donauwörth hat diese überwiegende
Bedeutung des Architekten ihren Kulminationspunkt
erreicht.
Über Ulmer Plastik am Ende des 15. Jahrhunderts
bringt J. Baum (Stuttgart) neues Material in einer Voll-
kommenheit, soweit sie bei dem gegenwärtigen Stand
der Quellen- und Archivforschung möglich ist. Zu
dem schriftlichen Material stellte Baum das monu-
mentale zusammen, so daß die Plastik der Ulmer
Schule in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
aktenmäßig klargelegt wurde. Es handelt sich haupt-
sächlich um die Führer der Schule, um die beiden
Syrlin. Der ältere hat ungefähr von 1458—1491 ge-
wirkt. Von ihm hat sich nur noch wenig erhalten,
z. B. ein Betpult, ein Schrank und der Ulmer Fisch-
kasten. In kritischen Exkursen schied Baum sorg-
fältig, was unverbürgte Legenden dem älteren Syrlin
zuschrieben. Über den Meister des Blaubeurer Altars
und verwandten Künstlern führt in der Plastik eine
stetig fortschreitende Linie, die in Syrlin d. J. (1455
bis 1521) ihren höchsten Punkt erreichte. Von dem
überkommenen monumentalen Material sind es die
Heiligenfiguren Syrlins für den Hochaltar des Klosters
Der IX. internationale kunsthistorische Kongreß in München
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die Namen international verständlich, eindeutig sein
und sich mit dem Umfang der Malerpalette decken.
Alle bisherigen Benennungen der Volkssprache, die
technischen Ausdrücke der Optik oder der Fabriken
sind im einen oder anderen Punkt ungenügend. Am
geeignetsten wäre der Ausbau der Goethe-Helmholtz-
schen Farbenbenennung unter Hinzuziehung eines
erst jüngst erfundenen Apparates von Kailab zur
Farbenanalyse. Auf diese Weise käme eine Art Formel
zustande, die international verständlich, jede Nuance
der Farbe wiedergäbe.
E. Verga (Mailand) legte dem Kongreß den 5. Band
der Raccolta Vinciana vor. Im Jahre 1905 wurde in
Mailand eine Gesellschaft von dem Senator Beltrami
gegründet, um die Leonardoforschung zu zentrali-
sieren, die an Intensität und Fülle bereits zu einer
eigenen Disziplin vorgeschritten war. Die Mitglieder
dieser Oesellschaft stellen der Raccolta Bücher, Stiche,
Bilder, kurz alles Material zur Verfügung, das auf die
Kenntnis des Lebens und Wirkens von Leonardo da
Vinci Bezug hat. Die Gründung Beltramis, zu der
Venturi mit seinen Studien über Vincische Manuskripte
den ersten indirekten Anstoß gab, erfreut sich in und
außerhalb von Italien, namentlich auch in Deutsch-
land großen Interesses, so daß die Raccolta mit dem
auf dem Kongreß vorgelegten 5. Band aus 950 Bän-
den und kleineren Schriften, sowie 660 Stichen und
Photographien besteht. Der Kongreß beschloß, die
Raccolta aufs eifrigste zu unterstützen.
Außer dem bereits genannten mehr programmati-
schen Vortrag über die Stellung der Kunstgeschichte
sprach Venturi noch über die gotische Malerei in
Italien im Anfang des 1'5. Jahrhunderts. Venturi wies
auf die Beziehungen hin, die zwischen Deutschland
und Italien in der gekennzeichneten Epoche bestanden.
Er ging auf einzelne Meister ein, so auf Giovanni
d'Allemagna, den er nunmehr mit der Nürnberger
Schule zusammenbringt. Einem ähnlichen Zwecke
dienten Gerolas (Verona) Ausführungen, der, um die
Wechselbeziehungen der Länder diesseits und jenseits
der Alpen zu beleuchten, einiges über die Porträts
und Wappen von deutschen Edelleuten mitteilte, die
sich auf den Fresken der Kirche San Oiorgetto in
Verona finden.
Destree (Brüssel) (Recherches sur les auteurs de
tapisseries flamandes du XV et XVI siecle) spricht
den Wunsch aus, es möchten möglichst viele Teppiche
reproduziert werden. Die Wandteppiche hängen aufs
engste mit der Malerei zusammen; ihre Kartons oder
Zeichnungen rühren oft von den bedeutendsten Malern
her. Bei sorgfältigem Studium der Teppiche kann
man bisweilen deren Meister entdecken, wenngleich
eine große Zahl von Teppichen anonym bleiben wird,
da es zahlreiche Maler gegeben haben muß, deren
Namen wir nicht kennen, die lediglich für Teppiche
gearbeitet haben. Dies tritt uns besonders im 15. und
16. Jahrhundert entgegen. Destree weist auf Teppiche
mit Darstellungen der Peterslegende hin, die für Wil-
helm von Holland, Bischof von Beauvais, ausgeführt
wurden. Sie scheinen mit dem Meister von Flemalle
(alias Robert Campin) verwandt zu sein. Man weiß,
daß dieser Meister eine Geschichte des hl. Petrus auf
Leinwand gemalt hat. Destree stützt diese Behaup-
tung auf Analogien mit Gemälden, die im Städel-
institut aufbewahrt sind, und mit dem Teppich von
Herkenbold, der nach einem Karton Rogers van der
Weyden, einem Schüler von Robert Campin, ange-
fertigt wurde. Hugo van der Goes schrieb der Redner
eine kleine Anbetung der Weisen, Justus von Gent
(Josse van Wassenhoven) einen Teppich in Boston
zu. Schließlich brachte er den berühmten Teppich
von Pierpont Morgan mit Teppichen im Museo
Poldi Pozzoli und zwei anderen in Zusammenhang,
die noch im Privatbesitz sind.
B. Riehl (München) berichtete über seine Rokoko-
studien im Donautal. Er konnte dabei zeigen, wie
gewisse Gebiete auch im Zeitalter des Rokoko trotz
der Beeinflussung durch fremde Elemente, aus den
empfangenen Anregungen eine selbständige Kunst ent-
wickelt haben. Dies gilt besonders für das schwäbische
Stammesgebiet des Donautals, weniger für das baye-
rische, das von der Zentrale München ungleich ab-
hängiger war, als das schwäbische. In diesem ist der
Zusammenhang mit den Kunstschulen von München
und Augsburg ein sehr loser. Vermittlerin war die
Wessobrunner Schule. Aus ihr zogen einzelne Künstler
in das Donautal, gründeten kleinere Filialzentren, die
eine Blüte der lokalen Kunst, besonders des Kunst-
gewerbes (z. B. Dillingen) hervorriefen. So entwickelte
sich das Rokoko als etwas Organisches aus dem
Barock, indem die neuen Kulturelemente im Volk
hafteten; ebenso natürlich wächst später das Rokoko
in den Klassizismus hinüber. Es zeigt sich ferner,
daß die Bedeutung des Rokokoarchitekten gewöhnlich
viel zu niedrig eingeschätzt wird; dieser will wesent-
lich anderes, als der Architekt des Barock, an den er
anknüpft. Seine Anlage ist großzügig und klar, sein
Raumgefühl entwickelter, insbesondere ist die Be-
leuchtung sehr fein durchdacht. In den Kirchen von
Günzburg und Donauwörth hat diese überwiegende
Bedeutung des Architekten ihren Kulminationspunkt
erreicht.
Über Ulmer Plastik am Ende des 15. Jahrhunderts
bringt J. Baum (Stuttgart) neues Material in einer Voll-
kommenheit, soweit sie bei dem gegenwärtigen Stand
der Quellen- und Archivforschung möglich ist. Zu
dem schriftlichen Material stellte Baum das monu-
mentale zusammen, so daß die Plastik der Ulmer
Schule in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
aktenmäßig klargelegt wurde. Es handelt sich haupt-
sächlich um die Führer der Schule, um die beiden
Syrlin. Der ältere hat ungefähr von 1458—1491 ge-
wirkt. Von ihm hat sich nur noch wenig erhalten,
z. B. ein Betpult, ein Schrank und der Ulmer Fisch-
kasten. In kritischen Exkursen schied Baum sorg-
fältig, was unverbürgte Legenden dem älteren Syrlin
zuschrieben. Über den Meister des Blaubeurer Altars
und verwandten Künstlern führt in der Plastik eine
stetig fortschreitende Linie, die in Syrlin d. J. (1455
bis 1521) ihren höchsten Punkt erreichte. Von dem
überkommenen monumentalen Material sind es die
Heiligenfiguren Syrlins für den Hochaltar des Klosters