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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Osborn, Max: Berliner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0066

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Berliner Brief

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kann man dabei verfolgen, wie das Courbetsche
Dunkel sich unter dem Einfluß der wenig geliebten
Pleinairisten aufhellt, und wie doch zugleich das Hin-
arbeiten auf den lyrischen — nun ja, meinetwegen,
wenn man durchaus will: auf den »literarischen«
Gehalt der Landschaft, besser vielleicht: auf ihre
immanente Volksliedpoesie sich in den Vordergrund
schiebt. Aber man kommt mit der Volksmäßigkeit
und der Treuherzigkeit nicht aus; es bleibt eine Poesie,
die durch das Auge (nicht durch den Geist) erkannt
und verwirklicht wird. Einiges sei noch hervorge-
hoben. So die sonore Bachlandschaft mit dem Angler
und das feine Bild mit der Eseltreiberin, deren roter
Rock neben dem blauen Mantel auf dem Grautier keck
herausleuchtet (beides bei Charlotte Schumann-Walter
in Bonn). Dann die entzückende Baumallee der Main-
landschaft von 1891 (bei Herrn A. Schwabacher,
Berlin), der romantisch-böcklinische einsame Ritter
auf schwerem Gaul, dessen Rüstung ihre Metallreflexe
sehr effektvoll durch die Dämmerung leuchten läßt.
Schließlich die breit und flächig gemalten, wenngleich
im Vortrag gebundenen »Hochsommerwolken« von
1907. Das alles klingt prachtvoll zusammen und
bietet in einem Zeitalter des Fragmentarischen und
Experimentell-Subjektiven den beruhigenden Eindruck
einer geschlossenen, klaren, gewiß begrenzten, aber
in sich reifen Persönlichkeit.

Wie hoch das Experimentell-Subjektive empor-
führen kann, zeigt zu gleicher Zeit eine Cezanne-
Ausstellung bei Cassirer. Lauter in Deutschland un-
bekannte Stücke; eine unerhörte Fülle malerischer
Herrlichkeit. »Malerischer« Herrlichkeit, das muß
natürlich immer wieder betont werden. Denn das
lasse ich mir nicht wegeskamotieren: daß die absolute
und souveräne Vernachlässigung aller formalen Werte,
die Cezanne betrieb, letzten Endes ein Manko und
auch eine Gefahr war. Der Franzose verfügte über
viel zu gute Augen, um die Formen nicht zu sehen.
Daß er sie auch beherrschen konnte, wenn er wollte,
zeigen einige fabelhafte Porträts, wie das lebensgroße
Bildnis seiner Frau oder der famos erfaßte Kopf von
Valabregue, oder eine Landschaft, die in der Festigkeit
und Energie des Liniengerüsts von fern an van Gogh
erinnert. Aber meist war ihm das alles gleich. Das
geht so weit, daß man vor einem Interieur mit zwei
Krinolinenschönen nicht mehr zu sagen weiß, ob die
dritte Person im Zimmer ein Kind oder ein Puppe
ist. Zweifellos: solche Dinge, die sich dutzendweise
wiederholen, sind nicht notwendig. Der mattre peintre,
der nur den sinnlichen Reiz der Farbe sucht, geht
lächelnd darüber hinweg. Bei einigen Stilleben, die
jetzt bei Cassirer hängen, kann man deutlich verfolgen,
wie er mit königlicher Gelassenheit die Perspektive
geradezu verhöhnt, um eine Farbfläche oder einen
Fleck herauszubringen, den er brauchte. Es ist eine
aus kultiviertestem Malersinn entsprossene Primitivität,
die ebenso naiv das ihr Wichtige aus der Natur
herausholt, wie ein prähistorischer Modelleur der neo-
lithischen Epoche einen Tier- oder Menschenkörper
so weit reduzierte, bis er die paar entscheidenden
Formelemente, auf die es ihm ankam, beisammen

hatte. Innerhalb dieses absichtlich verengten Kreises
künstlerischer Absichten aber ist Cezanne ohne Vor-
gang und Beispiel. Da ist eine Reihe von Sommer-
landschaften an einer Wand vereinigt, deren Pracht,
Frische und Delikatesse alles schlägt, was der ganze
Impressionismus vor Cezanne riskiert hat. Diese Leiden-
schaft der Farbe hat kein anderer besessen. Keiner
auch diese Kraft, die Natur malerisch-subjektiv zu
deuten und sich doch nicht von ihrer Wahrhaftigkeit
zu entfernen. Ein Meisterstück ist das kleine Bild
einer figurenreichen Gesellschaft im Freien, die an
beiden Ufern eines Flusses auftaucht, während ein
Boot die beiden Gruppen hier und dort verbindet.
Alles ist Duft und sinnliche Sommerfarbe, große
Flächen, durch zahlreiche Lokalflecke munter belebt
und aufgefrischt; und eine Luft wogt hin und her,
daß man sie greifen zu können vermeint. Dann eine
Gruppe von Kastanienbäumen im Spätsommer, die in
der Feinheit und Tiefe der Beobachtung der Farben-
skala vom Grün zum Braun hin und dann wieder
in der persönlichen, vereinfachenden Art des Vor-
trags unvergleichlich ist. Die Ausstellung bietet vor-
zügliche Exempel, um das Studium der Cezanneschen
Technik zu vertiefen, diese merkwürdige Mosaikmanier,
die behutsam Strich auf Strich alle prima auf die
Leinwand setzte, so frei und leicht, daß der helle Ton
des Gewebes überall durchschimmert und mitwirkt,
und so unmittelbar in der Wirkung, daß sie stets den
Eindruck einer rasch entstandenen Skizze hervorruft,
während in Wahrheit grüblerische Absicht den Pinsel
leitete, ohne freilich die Bewegtheit und das innere
Leben der Natur jemals zu gefährden. Die Kollektion,
die Cassirer hier zusammengebracht hat, ist imposant.
Ob sie auf unsere jungen Künstler richtig wirken wird,
ist eine andere Frage. Nur ein Gottesgnadenmann wie
Cezanne kann sich gestatten, so skrupellos^seiner
individuellen Laune zu folgen. —

Bei Schulte findet man eine große Kollektiv-
ausstellung aus einer anderen Welt: ein rundes_Hundert
von Werken Eduard von Gebhardts, wiederum eine
nachträgliche, freilich über ein Jahr hinausgeschobene
Feier des siebzigsten Geburtstages. Die Heerschau
gibt Anlaß, die herrschende Vorstellung von der Kunst
dieses Düsseldorfer Meisters einmal nachzuprüfen. Es
zeigt sich, daß sie nicht unrichtig war und scheinbar
keiner Ergänzungen mehr fähig ist. Gebhardts Art
hat ihre großen Meriten, aber sie ist doch nicht reich
genug, daß ein Wiedersehen der bekannten Arbeiten
in vollständigerer Folge Überraschungen bringen und
neue Gesichtspunkte freilegen könnte. Das Leitmotiv
seines Lebenswerkes ist: tüchtige, altmeisterlich ge-
schulte, zeichnerisch fundierte Maltechnik verbunden
mit einem Temperament, das ein persönliches inneres
Erleben zum Ausdruck bringen will. Es ist weniger
ein Temperament der Empfindung als ein Tempera-
ment der Gesinnung, und es scheint oft genug mehr
von außen eingeheizt als von innen her eigene Wärme
auszustrahlen. Darum drückt es sich auch nicht
malerisch aus, sondern kompositionell, und darum
bleibt es auch auf das Detail beschränkt, ohne eigent-
lich zu einer Wucht der Gesamteindrücke aufzusteigen.
 
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