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Sammlungen
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nicht gezähmt und geschwächt ist; aber nicht nur das
Menschenmaterial, das uns Vinckeboons vorführt, ist ro-
buster, auch seine Farbe ist kräftiger; das starke Rot ist
eine seiner Lieblingsfarben; und für seine Bilder ist oft
eine fröhliche Buntheit geradezu charakteristisch. Auf dem
neuen Vinckeboons sehen wir auf einer Dorfstraße vorn
in der Mitte einen alten halb blinden Leiermann, gegen
das Licht trägt er eine Art Scheuklappen vor den Augen,
von seinem Hunde gezogen und von einer großen Kinder-
menge verfolgt; rechts vor einem Hause wird ein Schwein
geschlachtet, und eine Schar Kinder, die sich untergefaßt
haben, eilt tanzend und springend herbei; meisterhaft ist
hier der Ausdruck in den durchgängig häßlichen Ge-
sichtern ; die Kinder können sich vor Vergnügen nicht lassen;
sie haben einen Heidenspaß; das merkt man an ihren
grotesk-verzerrten Zügen und ihren Bewegungen. Be-
merkenswert ist die große Verschiedenheit von Charakteren,
die der Maler hier darstellt; er hat alles gut beobachtet
und gibt auch alles genau wieder, nichts vernachlässigend.
Im soeben erschienenen Jahresberichte des Museums wird
dieses Bild »vielleicht das Meisterwerk des Künstlers« ge-
nannt. Das Museum besitzt jetzt im ganzen fünf charakte-
ristische Proben der oft etwas rohen, aber gesunden Kunst
dieses etwas unter vlämischem Einfluß stehenden Meisters;
seine Kunst bildet den Übergang zu der Adriaen van de
Vennes, der in keiner Sammlung besser zu studieren ist
als im Ryksmuseum; auch deshalb ist sein Werk von
Interesse.
Von den Neuerwerbungen älterer Kunst verdient dann
noch vor allem um seiner Seltenheit willen eine Arbeit
von Jan Woutersz Erwähnung, der 1542 als Bürger in
Amsterdam eingeschrieben wurde; man kannte bisher von
ihm nur ein einziges Werk, das sich im Ryksmuseum be-
findet (Nr. 2702); die Vorstellung ist eine sehr verwandte;
wir haben hier wieder das Bureau eines Steuereinnehmers,
der von einer Frau (oder einem Mann?) mit einem Jungen
die fälligen Abgaben entgegennimmt, die Frau reicht dem
Manne ein Geldstück hin, der Junge, in blauem Wams,
hält ein Huhn in seineu Armen; der Steuereinnehmer, der
eine rote Mütze trägt, hält in der einen Hand eine Ur-
kunde, mit der anderen schlägt er gleichsam, seine Unschuld
an diesen Forderungen beteuernd, an seine Brust. Die
Übereinstimmung in dem Vorwurfe und in der Behandlung
mit dem älteren Bilde ist offensichtlich; es herrscht auch
derselbe bräunliche Grundton vor; nur ist das neue Bild
in der Charakterisierung der Personen und im Ausdruck
schwächer, und in der Ausführung weniger energisch, doch
ist es angenehm in der Farbe. Die Maße sind 83X68.
Über eine Neubenennung eines älteren Gemäldes muß
an dieser Stelle noch berichtet werden; es handelt sich um
ein Stilleben von Früchten, die auf einem Tisch ausge-
breitet liegen, eine durchgeschnittene Artischocke, Erd-
beeren, Kirschen und Maulbeeren auf Tellern, eine silberne
Zuckerdose und ein Messer mit kunstvoll eingelegtem Griff,
welches Werk anfangs der holländischen Schule aus der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugeschrieben wurde,
das aber auf Grund einer sehr auffallenden Ähnlichkeit in
der Komposition und den dargestellten Gegenständen mit
einem im Museum zu Grenoble befindlichen Gemälde
von der Hand einer französischen Künstlerin Louyse Moillon,
die um 1630 tätig war und wahrscheinlich unter holländi-
schem Einfluß stand, als ein Werk derselben erkannt werden
mußte. Herr Direktor Steenhoff hat seinerzeit in dem
»Bulletin van den Oudheidkundigen Bond« 1909, p. 94ff.
diese Zuschreibung ausführlich begründet.
Die Sammlung moderner Kunst ist seit ihrer Über-
führung in den neuen Anbau, der im Dezember vergangenen
Jahres eröffnet worden ist (vergl. darüber unseren Bericht
in der Kunstchronik vom 14. Januar 1910) auch wiederum
manches Stück bereichert worden. Zu nennen wäre da in
erster Linie ein sehr merkwürdiges Gemälde von dem Haager
Maler Willem A. van Konynenburg (geb. 1868); es stellt
grasende Hirsche vor; im Vordergrund unter einem breit-
ästigen Baum sieht man ein männliches und zwei weib-
liche Tiere, mehr im Hintergrund, vor einer niedrigen Hügel-
kette ein ganzes Rudel [76X135]; auf den ersten Blick
scheint die Farbe — das Ganze ist in einem kühlen braun-
grauen Ton gehalten — etwas trocken und die Tiere im
Vordergrund scheinen zu hölzern, doch bei aufmerksamerer
Betrachtung muß man sein Urteil korrigieren und man
wird sich dem ganz eigentümlichen Reiz dieses etwas stili-
sierenden Werkes nicht entziehen können; durch die mehr
auf die Noblesse der Linie gerichtete Zeichnung kommt
der Charakter der Tiere gerade besonders gut zum Aus-
druck; mit feinem Gefühl sind die Köpfe und besonders
die ängstlich und klug blickenden Augen wiedergegeben.
Es erinnert unbestimmt an chinesische Malereien, wo man
auch gern Rotwild dargestellt sieht, nur wirkt es neben
dieser impressionistischen, nur ganz zart andeutenden
Malerei durch die Festheit seiner Zeichnung strenger und
klassischer. Das edle Werk ist eine Leihgabe des Herrn
van Valkenburg im Haag.
Neu ist ferner eine Landschaft des durch die Schlicht-
heit und Ehrlichkeit seines Werkes so sympathischen Nico-
laas Basiert (geb. 1854), der sonderbarerweise, obwohl
sich sogar in ausländischen Museen, wie in der Neuen
Pinakothek in München Werke von ihm finden, hier noch
nicht vertreten war; das Motiv ist der Umgegend von
Amsterdam entnommen; es ist ein von Weiden und anderen
Bäumen eingefaßter holländischer Fluß an einem sonnigen
Tage ist dargestellt [32X48]; so einfach wie der Vorwurf
ist auch die Behandlung. Erwähnung verdient endlich noch
eine Arbeit des jungen Isaac Israels (geb. 1868), der seine
Stoffe mit Vorliebe aus dem großstädtischen Leben wählt,
etwa Anproben aus einem Damenschneideratelier, auf der
Straße flanierende Konfektioneusen oder sich in einem
Tanzlokal drehende Paare darstellt; auf diesem Bild sehen
wir die Trommelschlägerin aus einem Jahrmarktszelt [100
X65]; sie sitzt vor einer grau-weißen Wand und trägt ein
orientalisches Kostüm mit weiten weißen Hosen und rotem
Mieder, ihr melancholisch blickendes hübsches Gesicht ist
von schwarzem Haar umrahmt; die Trommel liegt auf
einem Stuhl vor ihr; das Ganze ist gut gezeichnet und an-
genehm in der Farbe, der graue Grundton, der von der
gekalkten Wand und dem schmutzig-weißen Kostüm ge-
bildet wird, wird auf pikante feine Weise belebt durch das
Rot des Mieders, das glänzende Gelb der Trommel und
das Schwarz des Haares und eines kurzen Brustjäckchens,
das über dem Mieder hängt. — Zum Schluß möchte ich
noch darauf hinweisen, daß vor kurzem die neue englische
Ausgabe des Katalogs der Galerie erschienen ist, in dem
die verschiedenen Supplemente in ein einziges Supplement
verarbeitet worden sind; da die englische Bearbeitung nach
der holländischen und französischen verfaßt worden, ist
dieselbe bekanntlich in den Bilderbeschreibungen und Be-
merkungen ausführlicher und zuverlässiger als ihre Vor-
gänger. M. D. H.
Neues von der National Gallery Londons. Sir
Charles Holroyd, der Direktor der Galerie, ist damit be-
schäftigt, die Neuerwerbungen bestmöglichst zu placieren
und gleichzeitig hierbei solche Gesamtänderungen vorzu-
nehmen, die nicht allein durch den Zuwachs von Gemälden,
sondern auch durch die ihm zur Verfügung gewordenen
und durch Anbau entstandenen Räumlichkeiten bestimmt
wurden. So ist nach Saal VII »Christus segnend« von
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nicht gezähmt und geschwächt ist; aber nicht nur das
Menschenmaterial, das uns Vinckeboons vorführt, ist ro-
buster, auch seine Farbe ist kräftiger; das starke Rot ist
eine seiner Lieblingsfarben; und für seine Bilder ist oft
eine fröhliche Buntheit geradezu charakteristisch. Auf dem
neuen Vinckeboons sehen wir auf einer Dorfstraße vorn
in der Mitte einen alten halb blinden Leiermann, gegen
das Licht trägt er eine Art Scheuklappen vor den Augen,
von seinem Hunde gezogen und von einer großen Kinder-
menge verfolgt; rechts vor einem Hause wird ein Schwein
geschlachtet, und eine Schar Kinder, die sich untergefaßt
haben, eilt tanzend und springend herbei; meisterhaft ist
hier der Ausdruck in den durchgängig häßlichen Ge-
sichtern ; die Kinder können sich vor Vergnügen nicht lassen;
sie haben einen Heidenspaß; das merkt man an ihren
grotesk-verzerrten Zügen und ihren Bewegungen. Be-
merkenswert ist die große Verschiedenheit von Charakteren,
die der Maler hier darstellt; er hat alles gut beobachtet
und gibt auch alles genau wieder, nichts vernachlässigend.
Im soeben erschienenen Jahresberichte des Museums wird
dieses Bild »vielleicht das Meisterwerk des Künstlers« ge-
nannt. Das Museum besitzt jetzt im ganzen fünf charakte-
ristische Proben der oft etwas rohen, aber gesunden Kunst
dieses etwas unter vlämischem Einfluß stehenden Meisters;
seine Kunst bildet den Übergang zu der Adriaen van de
Vennes, der in keiner Sammlung besser zu studieren ist
als im Ryksmuseum; auch deshalb ist sein Werk von
Interesse.
Von den Neuerwerbungen älterer Kunst verdient dann
noch vor allem um seiner Seltenheit willen eine Arbeit
von Jan Woutersz Erwähnung, der 1542 als Bürger in
Amsterdam eingeschrieben wurde; man kannte bisher von
ihm nur ein einziges Werk, das sich im Ryksmuseum be-
findet (Nr. 2702); die Vorstellung ist eine sehr verwandte;
wir haben hier wieder das Bureau eines Steuereinnehmers,
der von einer Frau (oder einem Mann?) mit einem Jungen
die fälligen Abgaben entgegennimmt, die Frau reicht dem
Manne ein Geldstück hin, der Junge, in blauem Wams,
hält ein Huhn in seineu Armen; der Steuereinnehmer, der
eine rote Mütze trägt, hält in der einen Hand eine Ur-
kunde, mit der anderen schlägt er gleichsam, seine Unschuld
an diesen Forderungen beteuernd, an seine Brust. Die
Übereinstimmung in dem Vorwurfe und in der Behandlung
mit dem älteren Bilde ist offensichtlich; es herrscht auch
derselbe bräunliche Grundton vor; nur ist das neue Bild
in der Charakterisierung der Personen und im Ausdruck
schwächer, und in der Ausführung weniger energisch, doch
ist es angenehm in der Farbe. Die Maße sind 83X68.
Über eine Neubenennung eines älteren Gemäldes muß
an dieser Stelle noch berichtet werden; es handelt sich um
ein Stilleben von Früchten, die auf einem Tisch ausge-
breitet liegen, eine durchgeschnittene Artischocke, Erd-
beeren, Kirschen und Maulbeeren auf Tellern, eine silberne
Zuckerdose und ein Messer mit kunstvoll eingelegtem Griff,
welches Werk anfangs der holländischen Schule aus der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugeschrieben wurde,
das aber auf Grund einer sehr auffallenden Ähnlichkeit in
der Komposition und den dargestellten Gegenständen mit
einem im Museum zu Grenoble befindlichen Gemälde
von der Hand einer französischen Künstlerin Louyse Moillon,
die um 1630 tätig war und wahrscheinlich unter holländi-
schem Einfluß stand, als ein Werk derselben erkannt werden
mußte. Herr Direktor Steenhoff hat seinerzeit in dem
»Bulletin van den Oudheidkundigen Bond« 1909, p. 94ff.
diese Zuschreibung ausführlich begründet.
Die Sammlung moderner Kunst ist seit ihrer Über-
führung in den neuen Anbau, der im Dezember vergangenen
Jahres eröffnet worden ist (vergl. darüber unseren Bericht
in der Kunstchronik vom 14. Januar 1910) auch wiederum
manches Stück bereichert worden. Zu nennen wäre da in
erster Linie ein sehr merkwürdiges Gemälde von dem Haager
Maler Willem A. van Konynenburg (geb. 1868); es stellt
grasende Hirsche vor; im Vordergrund unter einem breit-
ästigen Baum sieht man ein männliches und zwei weib-
liche Tiere, mehr im Hintergrund, vor einer niedrigen Hügel-
kette ein ganzes Rudel [76X135]; auf den ersten Blick
scheint die Farbe — das Ganze ist in einem kühlen braun-
grauen Ton gehalten — etwas trocken und die Tiere im
Vordergrund scheinen zu hölzern, doch bei aufmerksamerer
Betrachtung muß man sein Urteil korrigieren und man
wird sich dem ganz eigentümlichen Reiz dieses etwas stili-
sierenden Werkes nicht entziehen können; durch die mehr
auf die Noblesse der Linie gerichtete Zeichnung kommt
der Charakter der Tiere gerade besonders gut zum Aus-
druck; mit feinem Gefühl sind die Köpfe und besonders
die ängstlich und klug blickenden Augen wiedergegeben.
Es erinnert unbestimmt an chinesische Malereien, wo man
auch gern Rotwild dargestellt sieht, nur wirkt es neben
dieser impressionistischen, nur ganz zart andeutenden
Malerei durch die Festheit seiner Zeichnung strenger und
klassischer. Das edle Werk ist eine Leihgabe des Herrn
van Valkenburg im Haag.
Neu ist ferner eine Landschaft des durch die Schlicht-
heit und Ehrlichkeit seines Werkes so sympathischen Nico-
laas Basiert (geb. 1854), der sonderbarerweise, obwohl
sich sogar in ausländischen Museen, wie in der Neuen
Pinakothek in München Werke von ihm finden, hier noch
nicht vertreten war; das Motiv ist der Umgegend von
Amsterdam entnommen; es ist ein von Weiden und anderen
Bäumen eingefaßter holländischer Fluß an einem sonnigen
Tage ist dargestellt [32X48]; so einfach wie der Vorwurf
ist auch die Behandlung. Erwähnung verdient endlich noch
eine Arbeit des jungen Isaac Israels (geb. 1868), der seine
Stoffe mit Vorliebe aus dem großstädtischen Leben wählt,
etwa Anproben aus einem Damenschneideratelier, auf der
Straße flanierende Konfektioneusen oder sich in einem
Tanzlokal drehende Paare darstellt; auf diesem Bild sehen
wir die Trommelschlägerin aus einem Jahrmarktszelt [100
X65]; sie sitzt vor einer grau-weißen Wand und trägt ein
orientalisches Kostüm mit weiten weißen Hosen und rotem
Mieder, ihr melancholisch blickendes hübsches Gesicht ist
von schwarzem Haar umrahmt; die Trommel liegt auf
einem Stuhl vor ihr; das Ganze ist gut gezeichnet und an-
genehm in der Farbe, der graue Grundton, der von der
gekalkten Wand und dem schmutzig-weißen Kostüm ge-
bildet wird, wird auf pikante feine Weise belebt durch das
Rot des Mieders, das glänzende Gelb der Trommel und
das Schwarz des Haares und eines kurzen Brustjäckchens,
das über dem Mieder hängt. — Zum Schluß möchte ich
noch darauf hinweisen, daß vor kurzem die neue englische
Ausgabe des Katalogs der Galerie erschienen ist, in dem
die verschiedenen Supplemente in ein einziges Supplement
verarbeitet worden sind; da die englische Bearbeitung nach
der holländischen und französischen verfaßt worden, ist
dieselbe bekanntlich in den Bilderbeschreibungen und Be-
merkungen ausführlicher und zuverlässiger als ihre Vor-
gänger. M. D. H.
Neues von der National Gallery Londons. Sir
Charles Holroyd, der Direktor der Galerie, ist damit be-
schäftigt, die Neuerwerbungen bestmöglichst zu placieren
und gleichzeitig hierbei solche Gesamtänderungen vorzu-
nehmen, die nicht allein durch den Zuwachs von Gemälden,
sondern auch durch die ihm zur Verfügung gewordenen
und durch Anbau entstandenen Räumlichkeiten bestimmt
wurden. So ist nach Saal VII »Christus segnend« von