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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 3.1887

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Rée, Paul Johannes: Büchereinbände von geschnittenem und getriebenem Leder
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Heiden, Max: Eine deutsche Aufnäharbeit aus dem Ende des 16. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4106#0183

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152

Eine deutsche Aufnaharbeit aus-dem Ende des 16. Jahrhunderts.

Dilettantismus rächt, lehrt die große Zahl mit-
telmäßiger Arbeiten, die in unseren Tagen, nach-
dem der Wiener Buchbinder Wunder durch höchst
gelungene Versuche auf die Lederschnitttechnik
hingewiesen hatte, neben den Prachtarbeiten
eines Hulbe in Hamburg, Hupp in München nnd
anderer Meister hergestellt werden. Zollen wir
diesen Werken, in denen die alte Technik eine

glänzende Wiedergeburt gefeiert hat, das größte
Lob und die höchste Bewunderung, so wissen wir
den vielen ohne alles Verständnis für Form
und Technik ausgeführten Arbeiten gegenüber
nichts anderes zu thun, als mit Jochen Nüßler
zu sagen: „Je, wat sall ick dorbi dauhn, 't is
All so, as dat Ledder is."

Eine deutsche Aufnäharbeit
aus dem Ende des s6. Iahrchunderts.

Von Nlax lseiden.

Lsierzu eine Tafel.

Die Museen haben in den letzten zehn
Jahren stattliche Sammlungen von Aufnäh-
arbeiten zusammengebracht: sie kamen größten-
teils aus Jtalien und Spanien, wo sie sich
vornehmlich als Schmuck der kirchlichen Ge-
wänder des 16. Jahrhunderts erhalten hatten;
seltener sind solche vom Zierat des Hanses auf
uns gekommen, und ebenso selten finden wir
deutsche Aufnäharbeiten jencr Zeit.

Die Aufnäharbeit nimmt in dem weiten
Gebiete der Stickerei eine besondere Stelle ein:
sie gestattet nicht, wie alle ihre Schwesterkünste,
die Verzierung derjcnigen Stoffe, welche man
einer Faltung unterwersen will, sondern be-
dingt vielmehr ein Muster aus breiten Flächen,
dessen Brechung stilistisch unstatthaft wäre, ver-
bietet dies auch aus technischen Gründen, da
der mit Papier unterlegte aufgeklebte feste At-
las, Brokatstoff oder Sammet, welcher das
eigentliche Muster bildet, von selbst ein Zu-
sammenraffen zur kuustgerechten Falte unmög-
lich macht.

Wie so viele Gebiete der alten Kunst hat
nns die moderne Renaissance auch das der
Anfnäharbeit wieder erschlossen; mit ihr wnrde,
wie in srüheren Zeiten, die Stickerei erst eigent-
liche Teilhaberin an der Dekoration des Hauses:
hier tritt sie den übrigen Künsten helfend und
ergänzend zur Seite.

Seit dem 16- Jahrhundert nahm die Auf-
näharbeit im Dienste der Kirche einen breiten
Raum ein. Noch am Ende des 15. Jahrhnn-
derts ist z. B. das aufgesetzte Kreuz der Kasel

mit der mühevollen Bildstickerei aus den gobe-
linartig übernähten Seiden- und Goldfäden be-
deckt; schon aus der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts kennen wir spanische Kaseln, deren
Kreuz auf einem Grund von Aufnäharbeit mit
umschlagenden Arabeskenmustern gestickt ist.
Weiterhin tritt die mittelalterliche Relief- und
Plattstichstickerei gänzlich zurück: die Gewänder
sind mit rechteckigen Feldern, alle Seitenbehänge
für den Altar völlig durch Aufnäharbeit reich
gemustert, hier und da ist höchstens ein rundes
Feld für einen Kopf oder eine in Plattstich ge-
stickte Madonnafigur auSgespart. Selbst zur
Bekleidung der Säulen an hohen Kirchenfesten
sind Behänge mit Aufnäharbeit erhalten.

Jn all den hier erwähnten Stücken tritt
uns die durch Aufnäharbeit gemusterte Fläche
als aufgesetzte Füllung in dem sonst frei ge-
lassenen Grundstoff entgegen oder sie bildet als
selbständiges Dekorationsstück ein über den
ganzen Grund sich entwickelndes Muster, wie
das bei Antependien, Möbelbezügen, den Be-
hängen des Prachtbettes der Renaissance rc.
der Fall ist; seltener hat man die Aufnäharbeit
zu einer Art Streumuster verwandt, so daß der
Grundstoff dazwischen noch zu seinem Rechte
kommt.

Von diesen verhältnismäßig weniger zahl-
reich erhaltenen Arbeiten giebt die auf unserer
Tafel in zwei Teilen (Ecke und Seitenteil)
dargestellte Tischdecke ein lehrreiches Beispiel.
Sie ist 188 oin lang und 180 om breit und
besteht aus dünner roter Seide. Rings-
 
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