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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 3.1887

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Kleine Mitteilungen
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204

Kleine Mitteilungen.

läßt in einsm Feenmärchen Göttinnen Traubenwein
in Bechern von „Glas und Edelstein" kredenzen.
Heutzutags würde kein Dichter von anderen als
Kristallbechern reden.

Daß die bunten kleinen Glasartikel des phöni-
zischen und alexandrinischen Marktes im fernen Osten
so eifrige Liebhaber fanden, ist beim Charakter des
chinesischen Volkes nicht zu verwundern. Dem reichen
Chinesen ist es zu allen Zeiten ein Bedürfnis ge-
wssen, Kuriositäten zu besitzen, und zu der Zeit,
als die Jndustrie des Landes Ta-ts'in auf dem öst-
lichen Markte ihre Rolle spielte, wurde diessr Hang
noch nicht von der Porzellanindustrie absorbirt, die
vermutlich nicht vor der T'ang-Epoche gröhere Di-
mensionen angenommen hat. Damals nahmen noch
dis plumpen kupfernen Aschenkrüge und andere Opfsr-
geräte, den archaischen Stil der alten Chou-Dynastie
nachahmend, die Kunstliebhaber in Anspruch; daneben
aber noch die sogenannten ?ao-rvu, d. h. Pretiosen:
Gegenstände aus Gold, Silber, Nephrit und anderen
Edelsteinen, aus Elfenbein, Perlen, Schildpatt u. s. w.
Ein großer Teil dieser Pretiosen kam aus dem Lande
Tats'in, und Glas wird mitten unter diesen Gegen-
ständen genannt. Jn dem genannten Werke der Sung-
Periode wird Glas bereits unter,die Halb-Edelsteine
gerechnet, und im I'sn-ta' ao-üon^-mu, dem natur-
historischen Hauptwerke der chinesischen Litteratur aus
der Mitte des 16. Jahrhunderts, unter die „Metalle"
(odin). Man sieht daraus, wie im Laufe der Jahr-
hunderte das Glas in der Wertschätzung der chinesi-
schen Anschauung gesunken ist. Durch nichts mußte
jedoch der Glaube an seine Kostbarkeit so sehr erschüttert
werden, als durch das Bekanntwerden des Geheimnisses
ssiner Bereitung.

Nach den Angaben des historischen Werkes ?si-
8did war es während der Regierungsperiode T'ai-wu
(424 bis 452 n. Chr.), daß Kaufleute aus dem Lande
Ta-yüch-chih im Nordwesten Jndiens in der Haupt-
stadt des Reiches Wei ankamen. Dieselben gaben vor,
durch Einschmelzen gewisssr Minerale alle Farben
liu-li herstellen zu können. Sie wurden demnächst
beauftragt, in den benachbarten Gebirgen zu graben
und zu sammeln, worauf sie in der Hauptstadt eine
Glasfabrik errichteten. Das dort verfertigte Glas
soll die vom Westen importirten Sorten an Glanz
noch übertroffen haben. Seit jener Zeit, heißt es in
den Annalen, wurds Glas in China bedeutend billiger,
als es je gewssen war.

Die Hauptstadt des Staates Wei, wo »ach dieser
Quelle die erste Glasfabrik in China errichtet wurde,
lag vsrmutlich in der Gegend des heutigen Ta-t'ung-fu
in der Provinz Shan-si (40° 05' 42' n. Br., 113° 13'
östl. v. Greemvich). Bemerkenswert ist, daß das Ge-
heimnis dsr Bereitung nach dieser Quells aus dem
Nordwesten Jndiens eingeführt wurde. Jn dem mit
dem ksisdin sonst fast wörtlich übereinstimmenden
älteren Werke VVsi-süu (d. h. „Geschichte des Wei-
Reiches") heißt das Land nicht Ta-yüch-chih, sondern
geradezu Jndien (T'ien-chu-kuo), was auf eine frühe,
vielleicht durch griechische Kultur auf jenen Boden ver-
pflanzte Kenntnis dsr Glasbereitungskunst in jenem
Lande schließen läßt.

Nebsn dieser Tradition, wonach das Geheimnis
der Manufaktur in China aus Jndien eingeführt wurde,
ist noch eine zweite zu erwähnen.

Grosier, in seinem Werke „vsserixtion äs la
Odius" citirt „les Aiauäss ^.nnalss" (ohne den Na-
men des Werkes zu nennen >— ich vermute, er meint
das 8uuA-sdu), wonach „der König von Ta-ts'in an
den Kaiser T'ai-isu beträchtliche Geschenke an Glas
von allen Farben schickte, denen einige Jahre später
ein Glaskünstler folgte. Derselbe verstand die Kunst,
Kieselsteine in Kristall zu verwandeln, und lehrte sie
einer Anzahl von Schülern". T'ai-tsu war der Name
des sonst als Wsn-ti bekannten Kaisers der älteren
Sung-Dynastie. Derselbe regierte von 424 bis 453
n. Chr. und war Zeitgenosse und Gegenkaiser von
T'ai-wu, dem Beherrscher des Stgates Wei, unter
dessen Regierung die Glasmanufaktur aus Jndien ein-
geführt sein sollte.

Wir haben hier zwei in einem Punkte, d. h. in
bezug auf den Ursprung, sich widersprechende, in einem
anderen, sehr wichtigen Punkte, d. h. in bezug auf die
Zeit des Ersignisses, sich vollständig deckende Über-
lieferungen vor uns. Die Divergenz ist so zu erklären,
daß die zuerst erwähnten Annalen der Wei-Dynastie
(ksi-sdili und VVsi-sdn) das Jnteresse ihres Herrscher-
hauses vertraten und deshalb diesem die Ehre zuzu-
wenden suchten, die erste Glasfabrik in China er-
richtet zu haben; von demselben Motiv war der
Verfasser des Lnn^sdn geleitet, wenn er die Ein-
führung der Kunst den guten Beziehungen des Herr-
schers vom Hause Sung mit dem sogenannten Könige
von Ta-tstin zuschreibt. Nur in einem wichtigen Punkte
stimmen die beiden Traditionen überein, nämlich in
der Zeit, und dies erscheint mir als ein beachtens-
wertes Kriterium für die Glaubwürdigkeit dieser beiden
sonst zweideutigen Berichte.

Wie bereits angedeutet, wurden in China feinere
Glaswaren in der frühesten Handelsperiode vermut-
lich mit Edelsteinen verwechselt. Bei einem Volks,
dem der Ursprung dieser Substanz von Haus aus
völlig fremd war und von den schlauen Händlern ohne
Zweifel nach Kräften verschwiegen, wenn nicht geradezu
falsch dargestellt wurds, darf uns ein solcher Jrrtum
nicht wundern. Es ist dahsr nicht unwahrscheinlich,
daß die im frühesten Altertume so zahlreich herge-
stellten kleinen bunten Glaskugeln, die als Produkte
des syrischen und ägyptischen Handels mit anderen
Waren nach China gelangtsn, als Grund für die
Erklärung des Wortss liu-Ii durch „Perlen" anzu-
sehen sind.

Wir erfahren aus der iin VVsi-Iio enthaltenen
Beschreibung des Landes Ta-ts'in, daß dort zehn
Sorten liu-Ii verfertigt wurden, und zwar werden die
folgenden Farben besonders angeführt: karmin (od'id),
weiß (xai), schwarz (üsi), grün (lü), gelb (dnanA),
blaugrün (oir'iuK), purpur (Lan), himmelblau (x'iao),
rot (ücvntz') und braunrot (triu). Jch habe die Namen
dieser Farben in allgemeinen Ausdrücken zu über-
setzen gesucht; welche Schattirungen im Altchinesischen
damit bezsichnet wurden, ist heutzutage eben so schwer
festzustellen, als die genaue Bezeichnung der Farben
im römischen oder griechischen Altertume. Es fehlen
 
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