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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Bartels, Adolf: Vom deutschen Drama der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0017

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wächst ihm die Tendenz aus Zeit nnd Leben zu, weshalb sollte er nicht
die Bühne, die nun doch cinmal ein Forum ist, zur Darlegung seiner
Anschauungen benutzen? Und Otto Ernst wie Max Dreyer wissei: alle
beide recht gut, daß sie Gestalten auf die Bühne stellen müssen, menn
sie wirken wollen, dah es mit Fuldaschen Fignren auf die Dauer nicht
gcht. Mir persünlich wäre es freilich sehr lieb, wenn sich nicht bloß die
liberalen, sondern auch die meiner Ansicht nach vicl stärkeren konser-
vativen Tendenzen unseres Zeitalters auf der Bühne hervorwagten,
aber dazu ist leider, wie dic Bühnenverhältnisse liegen, wenig Aussicht.

Gleichzeitig mit dein jungen Deutschland schrieben bekanntlich auch
die Grabbe und Büchner ihre Dramcn, ja, gerade sie bilden den
Uebergang zu den späteren Hebbel und Ludwig, wenn man sie darum
auch mit den großen Realisten noch nicht vergleichen oder gar aus jenen
und diescn, wie es törichter Weise geschehen, eine Gruppe der Kraft-
dramatiker bilden darf. Grabbc nnd Hebbel verhalten sich wie Marlome
oder vielleicht besser noch wie Robert Greene und Shakespere, und es
ist mir immer, wenn jemand die beiden zusammenwarf, dieses ein
Zeugnis dafür gewesen, daß ihm das tiefere Unterscheidungsvermögen
fehle. Nun gut: wenn unsere historische Parallele überhaupt einen
Grund habcn soll, so müssen sich heute anch die neuen Grabbe
und Büchner finden, also entschiedene Shakesperianer; denn das sind
die beiden Kraftdramatiker doch zuletzt. Und in dcr That, sie finden
fich: Sind Otto Ernst und Max Dreyer, denen sich bekanntlich noch
manche andere Tendenzleute anschließen, unsere Neujungdeutschen (nicht
-jüngstdcutschen), so sind Kurt Geucke, Herbcrt Eulenberg —
es ließen sich schon noch andere finden — unsere Neu-Shakespcrianer.
Von Eulenbcrg habe ich das Erstlingsdrama „Dogenglück" hier be-
sprochen; es behandelt den Marino Falieri-Stoff etwa in dem Stil,
in dem Shakespere seine Witwe Hurtig-Szenen geschrieben, hier und
da guillt aber echte Stimmung auf. Viel selbstündiger ist schon das
zweite Stück „Anna Walewska", eine unheimliche Polengeschichte, die
die Erinnerung an Otto Ludwigs „Rechte des Herzens" (die bekanntlich
wieder unter dem Einfluß der Grabszenen in „Romeo und Julia" ftehen)
und, wcnn man noch weitcr zurückgchen will, an die Massingcrschen
Dramen wachruft, aber nun eine Einheitlichkcit und Macht der Stimmung
ausweist, die nicht allzu häufig ist in der modernen Literatur. Knrt
Geucke debutierte mit einem dicken Band „Nächte", aus symbolistischer
Nietzschischer Prosa und noch sehr nnselbständiger Lyrik gemischt; jetzt
hat cr eine Tragödie „Sebastian" herausgegeben, die, wie die Kunst-
wart-Leser vielleicht ans einem im Kunstwart erschienenen Jnserate
wissen, bei der Kritik und auch bci einzelnen dichterischen Itotabilitüten
eine freundliche Aufnahme gefnnden hat. Nichard Voß schreibt dnrüber:
„Ein Werk reinster Poesie, welchem das Gottesgnadentum aufgeprügt
ist", und Richard Voß mußte allerdings so schreibcn, da Gcucke ein
naher Geistesuerwandtcr von ihm ist. Aber das Voßische Lob, so be-
denklich es ist, um so mehr, als Geucke schon selber in dem Einleitungs-
gedicht der Tragödie hoch tragisch über Verkanntwerden klagt, soll uns
nicht hindern, Geucke das Seinige zu geben: er ist in der That ein
Poct, es sind Szenen in seinem Stück, die nicht nur nach dcr Scite
der Stimmung — die „liegt" ja den Modernen — sondern anch nach
Aunstwart
 
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