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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1901)
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Bartels, Adolf: Vom deutschen Drama der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0018

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drr Seite der dramatischen Charaktcrgcstaltung ctwas verhcißen. Freilich,
wer gewohnt ist als Kritiker nber den Tag hinauszublicken, der kann
nicht anders sagen, als das; hier im ganzcn Stil zunüchst doch Shakc-
sperischer Canevns, modern sgmbolistisch bestickt, vorliegt, daß die gcsuchte
Originalität der unmittelbaren poctischen Empfindung mehr als die
Wage hält. Das Stück hat als Helden den salschen Sebastian von
Portugal, und die ersten Akte hindurch intercssicrt uns die Gestalt un-
bedingt; dnnn aber wird aus dem Sebastian Hamlet und aus Hamlet
Christus — selbst die Anspeiszcne sehlt nicht — und ich kann mir nicht
helsen, ich habe das Buch zuletzt doch geärgert wcggclcgt. Was wir
auch vom dramatischen Dichter in erster Reihc fordern dürfen, ist Sach-
lichkeit; cs besteht nicht die geringste Vcranlassnng. einen falschen
König von Portugal durch das Medium des Nietzschischen Ueber-
menschentums zum Wclterlöscr zu crhöhen, vielmehr hat der dramatische
Held Um Ttzpus zu bleiben', wenn dcr Typus auch, sowcit es möglich
ist, gestcigert werden darf. Gerade das schcinen uirsere jungen Dra-
matiker nicht zu begreifcn, auch Eulenbcrg hat in eincm neuen Drama
„Münchhauscn" den alten Lügenbcutel, dcr, wie Lienhard in seincm
Stück gezeigt hat, recht wohl idealisiert werden kann, tragisch gewcndet,
und das zerstört natürlich die Gestalt. Hier liegen dic Gefahren des
Neu-Shakesperiancrtums, die sich von Nietzsche und dem Stzinbolismus
hcrschreibcn: man will in salscher Genialitütssucht das Unmögliche, immer
das Hüchste, man meint, daß man Gestaltcn wie Hamlet und Faust
durch bewußtc geistige Potenzierung erreichen kann, und bleibt bci solchen
Versuchen obcn ein natürlich von berufenen Mustern abhängig. An einem
ähnlichen Jrrtum, an der nämlichen Sucht, glcich alles an allcs zu
setzen, ist einst Kleist zu Grunde gegangen, Kleist, mit dcm man Geucke
denn auch schon verglcicht (^nn Hoist, gui aurait lu Xiotirsoba
pout-ötro" sagtc nach dcr Reklamc ein französischcr .Kritiker). Aber
Kleist hat eben da sein Bcstes geleistct, wo cr ganz „sachlich" in unserem
Sinnc wurdc, iin „Prinzen von Homburg". Wir wünschen nun unseren
jungen Dramatikcrn, daß sic vor allcm recht bald aus die Bühne ge-
langen, Erfolg und Mißerfolg, das Leben ist das Einzige, was sie ver-
nünftig machen kann; denn dcr ernsten Kritik, die sich nicht blenden
lnßt, glaubcn sie cinstweilcn ja doch nicht.

Jch habe oben Fritz Lienhard genannt — in gcwisscr Bcziehung
ist auch er Shakespcriancr, jedcnfalls möchtc cr im Besondern wie
Shakespere durch jedc einzelne Szcnc poctischc Wirkung erreichcn, die
Künstlichkeiten dcs modernen dramatischcn Baus vermeidcn und im
allgemeinen dcm dramatischen Geiste Shakctpcrcs den noch immer starken
naturalistischen Ncigungen der Gegenwart gegcnüber wicder zum Durch-
bruch verhclfen. Abcr cr ist kcin Shakcspere-Nachahmer, den Shake-
spereschen Stil übernimnn er nicht, sondern hat sich für seinen „König
Arthur" einen eigencn und wohl gecigncten nach Ossian und der
schotlischen Ballade geschasfen. Und weiter ist cr in diescm Drama auch
sachlich gebliebcn, hat wcitcr nichts als den im Stoffe liegenden Kampf
zwischcn' der intcrnationalcn Kultur und der Nationalität, den hentc
alle Völkcr so odcr so kämpfen, dargestellt, in seinem cigcnen Geiste,
wie natürlich, aber nnch in den natürlichen Grcnzen. Ein Urteil über
Lienhards Drama und sein Talent überhanpt will ich hier jetzt nicht

Vktobcrbeft zyo;
 
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