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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1901)
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Gregori, Ferdinand: Zuschauerschmerzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0071

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Sein Argwohn ist durch all das gcnng genährt, um ihu ausrufen
zu lassen:

„Los den Ankcr! . . .

Wohl kenn ich Jrlands

Königin

Und ihrer Künste

Wunderkraft!"

Es ist nur selbstverstäudlich, daß der Gestcnreichtum solcher Dar-
stellerinnen nicht für wirklich starke Momente ausreichen knnn, ivcnn sie
ihr Stärkstcs schon in den Beiseit-Szenen vergeuden. Die Zuschaucr
verlieren jeden Maßstab für die Bedeutung der Bewcgungcn. So sehcn
wir, uin bei dem einen Werke zu bleiben, Jsolden an Tristans Lciche
äußerlich in der gleichen Verfassung wie vor dcm Trankc: dcrselbe
Schritt, dieselbc Hebung der Arme, dasselbe Kopfwerfen. Hier müßte
doch dic Geste und Geberde ins Niesenhafte wachsen, dcnn Ungcheures
ist inzwischen vorgegangen. Und die initteninne liegende wunderbare
Liebesszene, die an Leidenschaftlichkeit und Selbstvergessenheit alle andcren
hinter sich läßt: was wird auf dein Theater daraus! Die beiden
Leutchen setzen sich, wo es Wagner vormerkt, vorsichtig auf die Bauk;
er legt scinen Arm behutsam um ihren Hals oder vielmehr auf die
Marmorlehne, um dic Frisur dcr Gcliebten zn schonen, und nun starren
beide unausgesetzt nach dem Dirigentcn. Hier hebt die unerhörtc Sinn-
lichkeit der Musik an mit den Worten:

„O sink hernieder, Nacht der Licbe!"

Wir blicken weg und lauschen nur uoch. Das nennt die Bühne Braut-
uacht, in dieser Szene werdcn dic beiden dcs Todes schuldig! Wie das
Gespräch zwcier Staatsmänncr nimmt sich's auS, und cin Sündenfall
durch allc Gluten soll es sein!

Sind die Regisseure abcr uicht imstande, hier Wandel zu schaffen,
ihrc Sänger zu temperamentvolleren Bewegungen anzuspornen, so sollten
sie wenigstens auf eine sinngemäße Handhabung der Neguisiten Bedacht
nehmcn. Wer gewinnt es übcr sich, auf der Bühne eincn Brief so zu
lesen oder zu schreibeu wie zu Hause? Wer sieht sich die Geldstücke an,
die er beim Bezahlcn aus dem Beutel oder der rechten Westentasche
holt? Wie beliebt ist es noch, mit der Faust die scharfgeschliffene
Schwcrrklinge anstatt des Knaufs zu umfasscn oder wohl gar durch die
Hand zu ziehen, als wollte man die Elastizität prüfcn! Wic töricht
verfährt man mit gefüllt sein sollenden Trinkhörnern und Bechcrn; sie
werden, bevor man sie an dcn Mund setzt, in die Luft geschleudert,
daß dcr Wcin an dic Decke spritzen müßte.

Es genügt cben für das größte Thcater nicht, einen Tenor-Star
mit sOOOOO Mk. zu bczahleu und einen in Paris und Madrid ge-
feierten Kapellmeister zu besitzcn. Und es ist Sache der Presse, nachdcm
sie den Geschmack des Publikums ans Unnatürliche gewöhnt hat, nun-
mehr Tag für Tag das Natürliche zu betreiben und gegen die Nach-
lässigkeiten und Sinnlosigkeiten der Bühnenleitungen zu opponiereu.
Jm allgemeinen an Bayreuth als das Mustcr zu crinnern, halte ich
für müßig, weil jeder Direktor sich mit seinen geringercn Einnahmen
entschuldigen kann. Vielleicht aber ist es wirksam, in Anlehnung an
Aunstwart
 
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