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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 4 (2. Novemberheft 1901)
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Göhler, Georg: Neuere Kompositionen für Männerchor
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0158

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der hier vor allen Dingen als Autorität anzurufen wäre, eincr Reihe deutscher
Volkslieder durch seinen neuen Satz durchaus nicht das alte Leben genommen
hat, und ich glaube, man sollte nicht blindlings jeden Versuch, den Grund-
stimmungen eines alten Liedes mit den Gefühlen cines neuen Menschen nach-
zugehen, als verfehlt und geschmacklos hinstellen. Man erlaube mir, meinen
eigenen vor kurzem bei C. A. Klemm (Leipzig) erschicnenen Satz des Volksliedes
„Es waren zwei Königskinder" für Männerchor hier als Beispiel zur
Prüfung anzuführen. Jch kann mich des Gefühls nicht erivehren, daß ein
Lied von so allgemein-menschlicher Größe und Tiefe, das außerdcm als
Hintergrund eine wundervolle Meerstimmung hat, die musikalische Heraus-
arbeitung aller dieser Stimmungen fast verlangt. Und der Vortrag allcin
kann hier nicht alles thun, zumal da man sich bei dcm bisherigcn Verfahrcn
genötigt sah, sich auf etwa fünf Strophen des Liedes zu beschränken. Die
richtigen Grenzen bei der Verfolgung der Stimmung jodes Verses sind ja
gerade im Volksliede sehr schwer einzuhalten, aber ich glaube, es ist nötig, im
Prinzip die künstlerische Möglichkeit und Berechtigung der reicheren Satzweise
einmal festzustellen.

Das Hauptgebiet für die Bethütigung „modernen Geistes" wird für dcn
Männerchorkomponisten natürlich seine eigene freie Schafsensthätigkeit blciben.
Und obivohl aus den obengenannten Gründen die Münnergesangvereinc ivenig
novaruiu rerum oupiäi sind, haben's doch schon einige Neuerer gcwagt, noch
weiter zu gehen als Hegar und seine Schule.

Als bekanntester Name tritt uns hier — wenn wir von Liszt absehen,
der wie fast überall, so auch hier mit einigen wenig gewürdigten Kühnheiten
(Münnerchöre bei C. F. Kahnt Nachfolgcr) Bahn gebrochen hat — Richard
Strauß entgegon. Er hat für scine beidcn Männerchäre op.(C. F. Leuckarts
Verlag) ein .altdeutsches Schlachtlied" und ein „Liebe" betiteltes Gedicht, bcide
aus Herders .Stimmen der Völker", gewählt und schon damit scin Fein-
gefühl und seine Absicht gezcigt. Die Chöre sind wirkliche Männerchöre. Daß
sie frei von Schablone sind, den Jnhalt der Dichtungen erschöpfend erklingen
lassen, braucht nicht betont zu werden. Eher darf man's für nötig halten, den
Gesang-Vereins-Leuten ihre Furcht vor den Schwierigkcitcn zu nehinen.
Gutes Studium verlangen die Lieder, natürlich auch rein künstlerisches Erfasscn
ihres inneren Lebens, aber — sie sind menschlich und normal. Dies den Zag-
haften zur Beruhigung!

Jch nenne neben Strauß einen altcn, viel zu wenig gcförderten Schülcr
Liszts, Alexander Winterberger. Er hat jüngst in Wilhelm Hemmes
Verlag zwei Männerchöre als op. tl? erscheinen lassen. Der erste, ,der Ning*
von Ju tinus Kerner, ist ein Chor mit außerordentlich scharfer Charaktcrisierungs-
kunst, vorzüglicher Deklamation und kühnster Harmonik. Abcr alles im Dienste
einer höheren Jdee. Es galt die Phantastik dieser Ballade grell und echt fest-
zuhalten. Mägen die Dirigenten von guten Chören diesen ,Ring" der Kette
ihrer Prunkstückc einfügen.

Ganz cigentümlich berührt haben mich die neuen acht Lieder für Männer-
chor von Eugen d'Albert (op. 23, Bote L Bock, Bcrlin). Zunüchst wußte
ich nicht viel damit anzufangen, es erschien mir alles zu sehr gemacht. Jch
sagc das, wcil ich fürchte, es wird manchem Musiker ähnlich gehen, ohne daß
ihn die Pflicht, Stellung zu nehmen, zu wiedcrholter Prüfung zwingt. Diese
erneute Beschäftigung mit den Stücken aber hat mir die lleberzeugung gcweckt
und besestigt, daß die Chöre nebcn dencn von Richard Strauß wohl das
Runstwart
 
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