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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 4 (2. Novemberheft 1901)
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Göhler, Georg: Neuere Kompositionen für Männerchor
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0159

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Beste und Eigenartigste untcr all den ncuen Erscheinungen sind. Es
sind die eigentlichen modernen Stücke. Dies vielleicht deshalb, weil sie
fast nur Texte von Tieck vcrtonen und sich dazu der jüngsten neuroman-
tischen Stimmung bemächtigen. Vielleicht auch, iveil sie garnicht in der
Wcise und in der Nichtung wie Hegar und seine Verwandten nach
neuen Ländern ausfahrcn, sondern alles Gepäck zu Hause und sich selbst
absichtslos nur treiben lasscn auf den Wellen eines klingenden Meeres. Das
schaukclt und wiegt und trägt; kcin Rudcr schlägt dem Kahne cincn gesitteten
Lauf vor, kcin Steuer verbietet den Wellen ihre kleinen, seltsamen Launcn.
Man liegt auf dem Rücken, sieht ein paar Möven und Wolken, viel blauen
Himmcl, fühlt Wind und Stille nm sich und träumt.

Die Chöre d'Mbcrts sind Gedichte, imprcssionistisch, halb geträumt, halb
erlebt, Romantik vom Auftakte bis zur Fermate am Schlusse, feinc, intime
Kunst für Künstlcr-Gesang-Vereine, für ein Publikum, das still sein kann.
Man müßte sie im Freicn singcn, aber nicht im deutschen Eichenwalde, nicht
als Sonntag-Nachmittags- odcr Sängcrausflugs-Lieder, die mcisten im Herbst,
in eincm Eichendorffschcn frciherrlichen Parke vor blonden Mädchen mit schönen
Augen. Es sind aristokratische Männerchöre! — Wenn der Komponist einmal
einen Ncudruck veranstalten läßt, mag er die Betonung von ^Arion" ja ändern,
im übrigcn hoffcntlich auch in dicser Klcinkunst bald weitere Gabcn von gleichem
Stimmnngszaubcr an das undankbare deutsche Publikum verschenkcn.

Für heute harren noch zwci Männerchöre mit Orchester von Anton
Bruckner und jc einer von A. von Othegraven und Arnold Men-
dclssohn der Anzcige durch mich. Arnold Mendelssohn hat mit seinem
„Schncider in der Hölle'" (für Tenorsolo, Männerchor und Orchester, erschienen
bei Rob. Forbcrg in Leipzig) aufs Neue gezeigt, welche kräftige, musikalische
Natur cr ist. Der Humor des Textcs ist sichcr festgehalten, die Melodik volks-
tümlich, das Ganze schr dankbar und allcn Männerchören, die cin gutes Or-
chester zur Verfügung habcn, warm zu empfehlen. Die beiden andercn Kompo-
nistcn führen uns in die Wälder, in dencn die dcutschen Patriotcn wohnen, und
auf das Mcer, dessen Friedcn dcutschc Panzerschiffe schützcn wollen. Othegravcn
hat in seinen drei Männcrchörcn aus .Widukind' mit Begleitung von Blcch-
instrumenten (op. to, C. F. W. Siegels Musikalienhandlung) charakteristische
dankbare Musik geboten, nach dcr scine Bedcutung aber nicht beurteilt werden
darf. Es ist mehr Gelcgenhcitsmusik. Aber gute, bei der das Archaisieren
durch dcn Stoff gebotcn ist. Auch Bruckners „Germancnzug" mit Blcchblas-
orchcster (Rcbay L Robitschek, Wicn), sowie scin Männerchor mit großem
Orchestcr „Helgoland' (L. Doblinger, Wien) sind Gelcgenheitsarbeiten. Sie
sind beide für Masscnchüre gcschrieben und verdienten bci großen Sängerfesten
auch außcrhalb Ocsterrcichs Berücksichtigung. Tcr sehr wirkungsvolle ,Ger-
mancnzug" verspricht auch schon in klcinerem Rahmcn, also auch bei nicht
außergewöhnlich zahlreicher Besctzung dcr Chorstimmen, gutcn Erfolg. Selbst-
vcrständlich wicgen in beidcn Wcrken die üblichen einfachen Stimmungen des
Patrivtismus vor, aber Bruckners künstlcrische Echtheit bewahrt sie vor der
Vcrflachung, dic sonst derartige .Hurra-Werkc' zu habcn pflegen. Das
Hurra-Rufen gehört nun einmal mit zur Ausgabe der deshalb beliebtcn
Münncr-Gesang-Vereine. Und wenn wir obcn diesc ihre nationale Be-
dcutung nicht crwähnt habcn, so soll sie damit nicht geleugnct wcrdcn. Wir
betonen nur, daß auch dies, wic vielcs anderc im Männerchorwescn nüt
Kunst nichts zu thun hat, und daß die Verbreitung und der Kultus des

2. Novemberheft tgot
 
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