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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 4 (2. Novemberheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0177

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einem Wasscrkopf, das bald stirbt.
Ein Gottfried Kellcr, ja, dcr hättc es
fertig gebracht, uns die Unwahrschein-
lichkeit des Vorgangs durch seine Dar-
stellungskunst glaubhaft zu machcn,
und er hätte wohl auch dcn Ton dcr
Tragikomik, derdcmStosfdoch wohl cin-
zig angemesscn ist, richtig getroffen. Bei
Bodman gibt's nur eine humoristisch an-
gelegte Anekdote, dcrcn prickclnder Gc-
schmack uns bald dnrch traurige That-
sachenbittcrkeitvcrgüllt wird;dieseThat-
sachcnbitterkeit aber wieder vcrmag uns
bei dcr leicht und blah ironisierendcn
Färbung der Grundanlage nicht so
tief zu crrcgcn, das; wir sic andcrs
als uncrquicklich, dasj ivir sie tragisch
empfändcn. So erhalten wir dcnn
vom Ganzen den Eindruck einer ästheti-
schen Taktlosigkcit.

Anders, wo sich Bodman einc Auf-
gabe wählt, die scinem zartcn Wescn
angemesscn ist und also scine Kräfte
nicht übersteigt. Da gclingt es ihm,
klare und lebcndigc Wirkungcn zu cr-
zielcn, wie in dcm Stücklein ,Dcr
Berg". Sehr hübsch und anschaulich
schildert er dort, wie der klcinc Karl
sciner Mutter davonläuft, um einmal
auf den gcheimnisvollen »Berg" zu
kommen, und wic cr sich droben in
cincr groffcn Distelköpscreischlacht ganz
vergisjt, bis ihn die halb verzweiscltc
Mutter wicdcr erwischt. Auch ist die
Geschichte in der Hauptsachc aus echt
kindlichem Fühlcn heraus crzählt,
einigc Entgleisungen abgercchnct, dic
sich darin änsjern, das; Bodman dem
kleincn Burschen ein oder zweimal
schöngeistige Empfindungen unterschiebt
und ihn zuwcilen Erwachscnenaus-
drücke gcbrauchcn läsjt. Dann sollte
Bodman seine schrcckliche Gewöhnnng
ablegcn, für „sagtc cr, sagtc sic",
»machte er, machte sie" zu sctzen. Der
Dichtcr ist doch ein Bildner mit der
Sprache als Material; aber die Worte
„machte er, machte sie" gcbcn in diesem
Sinne nicht cinmal eincn deutlichen
Begriff, gcschweigc denn cinc Anschau-

ung. Jn solchen Dingen wünschte
ich Bodman recht peinliches Auf-
merken, da er bei der Enge seiner Be-
gabung technische Vollendung bis ins
Kleinste als höchstes Ziel vor Augen
sehen muh, wenn er etwas errcichen
will. Leoxold lvcber.

* Ueber NatalyvonEschstruth
als Kulturerscheinung sprach
j kürzlich Schönhoff im ^Tage". „Zu-
nächst bekenne ich: Nataly von Esch-
struht war mir bisher völlig fremd.
Jch wuhte nur und las öfter, dah sie
zu den beliebtesten deutschen Erzähle-
rinncn gehöre, nach Ausweisen von
Lcihbibliotheken gegenwärtig wohl die
gclesenste Romanschriftstellerin sei.
Danach erwartete ich natürlich blut-
wenig, als ich den Novellenband
-Sonncnfunken- in die tzände
j nahm, und trotzdem wurde ich starr
j vor Ueberraschung. Jst denn das
möglich? Jst unsere lesende Frauen-
welt so von allem Geist verlassen, dah
die Eschstruth Herold ihrer Jdeen
wurde? Kürzlich tagten Frauenvereine
in Bcrlin. Welche ungeheuerliche inncre
! Mission stände ihnen bevor, wollten
! sie zuvörderst die Geschlcchtsgenossinnen
j aus geistiger Not emporziehn l Denn
i nur die allerärmlichste Not kann sich
mit den Syrupsgeschichten aus den
-Sonnenfunken- von -Jhrem Weih-
nachtswunsch- — -Jhr Weihnachts-
wunsch- ist natürlich ein Leutnant —
bis zu »Tantchen Lottchen- befreunden.
j Und dann das Deutsch unserer >zer-
^ lesenstcn- Romanschreiberin!"

Die deutsche Frauenwelt hat nicht
j nur die Droste und die Ebner-Eschen-
bach, sie hat hunderte hervorgebracht,
die hundert Stufen höher stehen, als
die Eschstruth. Aber die Eschstruth
^ wird zwanzig Mal mehr gelesen, als
sie alle mileinander. Wie musi es in
den Gehirnen aussehen, die von ihr
befriedigt werden — Schönhoff hat
Recht, von einer »geistigen Not'

^ zu sprechen. Auch wir fragen: wo ist
2. Novcinbcrbcft t9vt
 
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