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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 4 (2. Novemberheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0178

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unter den Frauen die Ngitation, die hier
eingesetzt hätte? Wo sind die Frauen-
Zeitungen, die hier aufklären, die zum
Verständnis erziehen? Wo sind die
Frauen-Vereine, die hier zu retten
suchen? Die ganze Bewegung, die
zur ästhetischen Genuhfähigkeit heran-
bilden will, sie wäre gar schön daran,
wenn sie mit Unbesangcncn zu thun
hätte. Dann wäre sie einfach Nähr-
arbeit. Wie aber soll man den be-
legten Zungen an gesunder Kost Ge-
schmack beibringen, wenn die zugc-
hörigen Mägen durch das Schlucken
Eschstruthschen Schleims immcr wciter
verdorben werden?

^keater.

*Von denBerlinerBühncn.

Jm „Berliner Theater" wurde von
Schlaf ein neues Schauspiel in zwei
Mten gegeben. Es heitzt ,Der Bann^
und mußte bereits nach der ersten
Aufführung vom Spielplan ver-
schwinden, weil es dem Publikum
nicht gefiel. Das Publikum nimmt
zwar in jedcm Wintcr viel schlechtere
Stücke mit wildem Jubel auf,
aber doch ist es Schlaf gegenüber
nicht ganz im Unrecht. Sein Schau-
spiel ist der Bühne so srcmd und zeigt
hier und da ein so peinlichcs Miß-
verhältnis zwischen Wollcn und Können,
datz die Aufführung cin literarischcs
Experiment bedeutete. Das Publikum
aber, das abends ins Theater geht,
ist ein harmloses Allerwcltspublikum,
das mit literarischen Experimenten
nichts anzufangen weitz. Man mutz
es ihm also schon zu Gute haltcn, datz
es fern bleibt. Selbst bei der Erst-
aufführung cntstand im Parkett eine
sehr lebhafte und sehr peinliche Un-
ruhe, die allerdings mittelbar den
Beisall hervorriefen, den Schlaf schlietz-
lich doch fand. Denn das literarisch
gebildete Publikum machte in aner-
kennenswerter Weise Front und
klatschte demonstrativ. So rettete es,
Aunstwart

was äußerlich überhaupt gerettet
werden konnte: dcn erstcn Abcnd.

Dcm Acsthetiker bot Schlafs Schau-
spiel manches Jnteressante. Der Ein-
druck, den cs hinterlätzt, ist fast traum-
hafter Art. Die Gestalten sind so
matt und fein gehalten, datz sie fast
wie Schattenwesen vorüberziehen.
Eine cigentümliche Stille hüllt das
Stück ein. Die Konflikte cntwickeln
sich nicht und reden keine laute Sprache.
Es geht alles gcdümpft hcr, nur mit-
untcr wird dicse kranke Stille unter-
brochcn. Dann klingt ein nervöses
Fraucnschluchzen hervor oder cin Mann
klagt aus wunder Brust nnd dann wird
es wiedcr still, und in Schwermut
j ebbt es aus.

Eine junge Frau ist an cinen vcr-
grämtcn menschenfeindlichcn Mann
verheiratet, der sie in der Wohnung
gefangen hält und in jedcr Weisc
peinigt. Ein junger Maler geht im
Hause aus und cin; er liebt die junge
Frau und möchte sie mit hinaus-
nehmcn, wo das wcite Leben blüht.
Es ruft und lockt in ihr: gch mitl
Aber Lcben und Leidcnschaft ist in
diescm feinen zerbrechlichen Wcsen nicht
stark. Jhre Liebe zum Malcr ist nicht
> stark gcnug, um dcn „Bann'zu brcchcn
in dem sie lebt. Ihr Mann hat Ge-
walt über sie — trotz allcm; sie kann
ihm nicht cntrinnen. Jn dcr letztcn
^ Szene nun — und das ist der fcinste
Zug der kleinen blasscn Dichtung —
cnthüllt Schlaf auch den erbittertcn
Ehemann als cinen, dcr leidct. Er
! trägt sclbst schwcr gcnug am Lebcn,
und so fällt auf die Leidcn, die cr
andern bcreitet, so ctwys wie Ver-
söhnung. Auch die Liebe der Frau,
die er im „Bann' hält, ivird dadurch
! sympathischer. Sie blcibt bei ihm, und
wieder werdcn die Tage in kranker
Stille dahingehen — dann und wnnn
ein nervöses Schluchzcn und dann
und wann ein mattcS Glück. Der
Malcr aber resigniert. Jn Schwermut
ebbt es aus. Lrich Schlaikjer.

ILS
 
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