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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: Literarische Ratgeber des Kunstwarts für 1902, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0191

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Warum dieser Ratgeber unsere wichtigste Unternehmung ish das
ergeben Betrachtuugen, die wir auch heuer nur wiederholen könneiu

„Der Büchermarkt vor Weihnachteu ist in Deutschland von viel
größerem Eiufluß als in anderen Ländern, weil der Deutsche eigentlich
nur »zu Gescheukzwecken« Bücher kauft, die er nicht kaufeu muß. Aber
gerade vor Weihnachteu ist guter Nat doppelt teuer. Die Empfehlung der
Buchhändler ist noch unsicherer als sonst, dcun auch die gebildeten
und gewissenhaften unter ihnen können die Menge des jetzt täglich er-
scheinendeu Neuen noch schlechter bewältigeu als zu anderer Zeit. Auch
die große Rezensiermaschine der Zeitungen wird dadurch so über-
anstrengt, daß sie noch schlechter als gcwöhnlich arbeitet und nicist über-
haupt keiue Kritiken mehr, sondern Abdrücke von Waschzetteln liefert.
Die Weihnachtskataloge der Buchhündler aber, die leider außcr-
ordcntlich viel Einfluß habeu, sind Geschäftsunternehmen, die in ihrer
ganzen Anlage mancherlei Anlaß zu Bedenken gebcn. Wir haben es
zwar durch unsere alljührliche Kritik crreicht, daß jetzt schon einige bcssere
Unternehmungen dieser Art gekommen sind. Dcnnoch fehlt immer noch
ein rechter Beirat, der jedem für sein Geld das möglichst Gediegene zu
verschaffen suchte. Wir wicderholen, was wir von ihm wünschten, wcil
es andeutet, was wir selbst uns als Ziel stellten. Abgesehen also von
der Nnabhängigkeit von geschäftlichen Jnteressen wünschen wir:

Erstens und hauptsächlich: keine Beschränkung auf das Aller-
neueste. Wenn unsere Weihnachtskataloge auch besser wären, als sie
sind, sie genügten schon deshalb ihrer Aufgabe nicht, weil sie bloß die
Novitäten besprechen. Jst ein Buch älter als ein Jahr, so fällt's unter
ihren Tisch, und so thun sie das ihrige dazu, das Nouveaute-Wesen
auch beim Bücherhandel hübsch oben zu halten. Aber das deutsche Schrift-
tum besteht ja nicht bloß aus dem, was im letzten Jahre neu verlegt
ist, also hat eiu guter Kaufberater etwas audcres zu seiu als ein Jahres-
bericht. Jenes Neueste, das heute mit zwanzig Pauken dahertrumpft
und übers Jahr zu neun Zehnteln verstimmt und verstunnnt ist, stellt sich
alljährlich breit und mit Geschrei vor das gediegeue Aeltcre. Beizutragen,
daß dem auders werde, gerade das scheint uns Aufgabe der Weihnachts-
kataloge zu scin. Jn jcdem Jahre müßte ein guter Weihnachtskatalog
jedem, der es wollte, die Mvglichkeit geben, nachzusehen, was die strengste
Kritik ihm als das beste empfiehlt von allem, was da ist. Man
dcnke einmal, ein Weihnachtskatalog hätte seit fünfundzwanzig Jahren
gesagt: Lest Keller, Mörike, Hebbel, Ludwig (Dichter, über welche die
ernste Kritik längst eines Sinnes war), hätte das wieder gesagt vor
jeder Weihnacht ein jedcs Jahr; wär' es dann denkbar, daß diese
Gesundbrunnen im Wald so lange ungenützt geflossen wärcn? Ein guter
Weihnachtskatalog sollte ein Hort sein des Echten, unbcstechlich und uu-
ermüdlich in seincm Hinweis auf das, was dauert, damit man's durch
Geschäfte- und Modemacherei hindurch so früh wie möglich als leben-
zeugendes Leben erkenne. Wir bedauern, wir sehen von einer derartigen
Auffassung bei den gegenwärtigen Weihnachtskatalogen noch nichts.

Zweitens: Die einzelnen Jahresernten vertragen allerdings
so strenge Sichtung nicht. »Aber sie bedürfen ihrer auch nicht! Was
einer vor allem andern liest, soll das Bcste sein, aber er kann nicht
nur das Beste lesen. Zudem kann ja manches für hcute von Wcrt
Aunstwart
 
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