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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: Literarische Ratgeber des Kunstwarts für 1902, [2]: Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0197

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Neuere demsche Literamr.

Die neuere deutsche Literatur, soviel haben uns die letzten Jahre mit
Gewißheit gelehrt, beginnt mit Friedrich Hebbel, einem Dichter und einer
Persönlichkeit, die noch lange nicht wirklich „bewältigt" sind. So ist der Besitz
seiner Werke heutzutage unentbehrlich, und er wird's wohl auch bleiben.
Mit Hebbel ist Otto Ludwig stark in den Vordergrund gelangt, und jedenfalls
seine vier Hauptwerke, „Erbförster" und „Makkabäer", „Zwischen Himmel und
Erde" und „Heitherethei" wird jeder Deutsche kennen wollen. Freytag, einst
als Haupt des poetischen RealiSmuS gepriesen, ist jetzt stark zurückgetreten, doch
wie man sich die „Journalisten" einmal im Theater ansehen wird, so wird
man auch „Soll und Haben" und „die verlorene Handschrift" einmal lesen;
die „Ahnen" sind wenigstens für die reifere Jugend eine gute Lektüre. Fritz
Reuter behält mit der „Stromtid" scinen Platz als Volksdichter, üsthetisch-
anspruchsvolleren Lesern gefallen meist die „Franzosentid" und „Dorchläuchting"
besser. Von Wilhelm Raabe sollte man sich ein halbes Dutzend seiner besten
Bücher kaufen, etwa den „Hungerpastor", „Horacker", „Wunnigel", „Alte Nester",
„Das Horn von Wanza", „Die Akten des Vogelsangs", auch die „Gesammelten
Erzählungen". Klaus Groths „Quickborn" ist für alle Niederdcutschen ein
klassisches Werk — vielleicht thüten die Obcrdeutschcn gut, versuchten sie's, durch
den fremden Dialekt zu seinen Schätzen zu dringen. Wer Stvrm einmal „gc-
schmeckt" hat, wird sich seine Werke, Novellcn wie Lyrik, insgesamt wünschen.
Keller darf beanspruchen, daß man mindestens die „Gedichte", dcn „grünen
Heinrich" und „die Leute von Seldwyla" nicht nur licst, sondern auch besitzt
— vielleicht kommen aber nach den Hebbelschen seine Gesamtwerke am aller-
ersten für dic modcrne Bibliothek in Betracht. Von Scheffel gchört der
„Ekkehard" dorthin, mit dcm „Trompeter" macht man einem Sekundaner
große Freude. — Von den sog. „kleineren Realisten" älterer Zeit sind folgende
Werko zu cmpfehlen: Vischers „Auch Eincr" (an erster Stelle!), Knrzens
„Schillcrs Heimatjahre" und der „Sonnenwirt", Meyrs „Erzählungen aus
dem Rics", Pichlers „Geschichtcn aus Tirol", Riehls „Kulturhistorische
Novellen" und Sterns „Ausgewählte Novcllen" und „Letzte Humanisten".
Gilm, Allmers und bcsonders I. G. Fischer sind schätzcnswcrte Lyriker
dieses Geschlechts.

Von den Münchncrn ist Gcibel jetzt fast am meisten zurückgetreten, wir
wünschten aus seinen Gedichten eine verständnisvolle Auswahl. Eine solche
nus Heyses Novellcn (es gicbt eine „fürs Haus") wird zumal gebildcte Frnuen
noch lange interessieren, und auch seine Lyrik soll man nicht unterschätzen, noch
weniger die Grosses nnd Linggs. Auch Hopfens und Leutholds Ge-
dichtsammlungen, W. Hertz' feiner „Bruder Ransch", von Wilhelm Jcnscn
cin großer historischer Roman („Nirwana", „Am Ausgang des Reichs") und
etliche Novellen (z. B. „Aus den Tagen der Hansa", „Aus schwerer Vergangen-
heit", „Eddystone"), wohl auch Dahns „Kampf um Rom" und zwci oder drei
Werke von Adolf Wilbrandt („Der Meister von Palmyra", die „Ostcrinsel")
wird eine grüßere moderne Bibliothek nicht entbehren wollen, schon die kleincre
aber wird Martin Greifs „Gedichte" und die Hauptwerke von C. F. Mcyer:
die „Gedichte", der „Heilige", „dic Hochzcit des Monchs", die „Nichterin", dic
„Versuchung des Pescara" besitzen wollen. Spielhagens „Problematische
Naturen" und „Sturmflut" sind gute Beispiele des Zeitromans. Anzcn-
grubers „Schandfleck" und „Sternsteinhof" dürfen wir keinesfalls übergehen,
Aunstwart

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