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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Hirschberg, L.: Karl Loewe, ein Tondichter der Kinderwelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0304

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das Leuchten des Glühwürmchens, der Ruf der Wachtcl, das eilige
Hupfen der Heupferdchen — alles findet seine musikalische Jllustration,
und das ganze gleitet wie ein duftiges Märchen an uns vorüber.

Unter die Kinder-Märchen müssen wir auch die beiden Balladen
»Die Heinzelmännchen" und ,Die wandelnde Glocke" rcchncn. Für sie
gilt in musikalischer Hinsicht das gleichc, was wir für die Nückertschen
Gedichte gesagt haben. Hier bcfindet sich der Mcister recht eigentlich
in scinem Element musikalischer Schilderungskunst. Das Walten der
Kobolde, ihr Klopfen und Hümmern, ihr heimlich-hastiges Schaffen ist
ebenso charakteristisch dargestellt wie die einzelnen Gewerbc der Bücker,
Schneider, Küfer, Flcischer u. s. w. und die Vertreibung der Münnlcin
durch die fürwitzige Schneidersfrau. Die ergötzliche Schildcrung des
Wackelns dcr großen, unbeholfenen Glocke, sowie des eiligen, ängstlichcn
Laufens des Kindes sind nur illustrative Beigaben zu dem ernst-bclehrendcn
Ton, den dann der Meister in der „wandelnden Glocke" anschlägt.

Auch zwei der großen Legenden (Bd. (3 und jls) möchte ich in
der Gruppe der Loeweschen Kindergesänge nicht misscn. Beide Dichtungcn
sind von Friedrich Rückert, beide gehvren zu den bedeutendsten Schöpfungen
des Komponisten. ^Des fremden Kindes heiliger Christ" mit scincm
ängstlich - eiligen Thema, das Suchen des frierenden Kindes schildernd,
und seincr überirdischen Musik, als das erlösende Christkindlein erscheint,
möge bravcn und ffeißigen größcren Kindern zur Belohnung vorgesungen
werden, ebenso wie die ^Gottesmauer", welche die wunderbarc Errcttung
der Muttcr und des Sohnes aus Fcindeshand erzählt, wic dcr liebe
Gott um das kleine Häuschen eine Schnecmauer aufrichtctc.

Gewisscrmaßen als Schlußstein des Kindesalters kvnncn die bcidcn
geistlichcn Lieder, das „Einscgnungslied" und das „Abendmahlslied"
(Bd. 2) gelten. Knabe und Mädchen haben bei der Einsegnung die
.Kinderschuhe vertreten, und so mögen sie ii: den neuen Lebcnsabschnitt,
den sie beginnen, die schönen milden Melodien dicscr beiden Licder
begleiten.

Von den acht „Jugendliedern", die im ersten Bande enthaltcn
sind, d. h. denjcnigen, dic Loewe komponiert hat, während er selbst noch
ein Knabe war, gvnne man den „treuen Schwalben", der kleincn „No-
manze" und der „Jagd" Ausnahme in den Krcis. Wie aber sollen
wir es nun mit der vielgcsungenen und viel bclachten „Mutter an dcr
Wiege", dcm allbekannten „Nasenliede" des Matthias Klaudius haltcn?
Jch denke, auch das dürfen wir getrost, zumal da es das einzige
Loeweschc „Wiegenlied" ist, mit dcm Stempcl dcs Kinderliedes verschen.

„Schlaf sützer Knabe, sütz und mild,

Du deines Vatcrs Ebenbild l

Das bist du; zwar dein Vater spricht,

Du habest seine Nase nicht.

Mich dünkt es sclbst, sie ist zu klein,

Doch muß es seinc Nase sein;

Dcnn wenn's nicht seine Nase wär,

Wo hätt'st du dcnn die Nase her?"

Ja, nchmen wir's an, selbst auf die Gefahr hin, daß die belicbte
Legende vom Storch und seincn fürtrcfflichen Eigenschaften durch diese
Worte einen nicht unbedenklichcn Stoß erhült! L. ksirschberg.

Kunstwart
 
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