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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0371

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Dcr Kleinknecht vom Nachbarhof ritt nach dem Abendbrot zum Schmied
und rief den Mädchen auf der Uhh die am Backhaus standen, zu: „Heute
nacht hat mir geträumt, die Uhl stänüe in hellen Flammen. Am Westgiebel
brach os heraus und lies so bedächtig, wie eine Katze, den First entlang."

Am anderen Morgen war große Aufregung im Hause. Es war Sonn-
tagmorgen, und Wieten hatte in gewohnter Weise abends vorher ihr Hcmd
gcwcchsclt und hatte, nach einem alten, gutcn Glauben das ausgezogene Hemd
vor ihr Bett auf den Fußboden gelegt. Und am Morgen lag da, wo das
Hemd gelegen hatte, Asche verstrcut. Mädchen und Knechte liefen zusammcn
und beredeten den Fall; es gab ein Hin- und Herreden und Lachen, und das
Mädchen, das mit Wicten in derselben Stube schlief, schüttelte den Kopf und
wunderte sich, daß sie von dem Brandgeruch nicht aufgewacht war. Wieten
ging mit ängstlichen Augen unruhig umher und sagte nichts. Die Leute gingen
oin jcder an seine Arbeit und brachten die Geschichte am selben Abend noch
ins Dorf.

Thicß Thiessen war wieder einmal von Hamburg gekommcn und cinige
Tage auf der Uhl geblieben. Er ging den ganzen Tag neben Jörn Uhl her
und redete auf ihn oin und suchte ihn an den Gedanken zu gewöhnen, daß er
die Uhl aufgeben müßte.

„Jch will dir gern mit einigen tausend Mark helfen, aber du weißt, der
Heeshof kann nicht vicl Schulden tragen."

„Du sollst mir nicht helfen," sagte Jörn Uhl; „aber das andere, das
Davongehen: das ist auch nicht leicht. Dort auf dem Osterkrug habc ich ge-
vflügt, als ich zwölf Jahre alt war, der Pflugsterz schlug hin und her, daß mir
fast schwindlig wurde; und jedesmal, wcnn ein Pferd den Kopf vorstrecktc,
riß es mich nach vorn; denn ich hatte die Leine um den Hals gelegt. Todmüde
war ich von der Angst und dem Gehen in der Furche."

Er zog dcn Kleinen, der ncben ihm ging, nüher an sich heran. „Als ich
spätcr vom Feldzug zurückkam und Lena Tarn mcine Frau wurdc, da ist kcin
Ständer im Haus und keine Latte, da ist kein Rethhalm auf dem Dache, dem
ich nicht zugenickt habe und habe gesagt: »So, nun seid ihr in guter Hut, nun
sorge ich sür cuch.-- Es ist wohl nicht anders, Thieß, ich muß den Hof fahrcn
lassen, abcr leicht ist es nicht: ich lasse Lena Tarns mühselige Arbeit fahrcn,
und ich verkaufe ihr fröhliches Singen an fremde Leute. Und all die bitteren
Jahre, die dann kamcn . . . ich mag nicht darüber reden. Und, Thieß: Wenn
nun eines Tages Elsbe aus dem Elend wiederkäme, und wildfrcmde Menschen
öffnen ihr die Thür? Jch weiß wohl, ich muß hinaus: ich kann keine Zinscn
mehr zahlcn; abcr leicht ist es nicht."

Am anderen Morgen ging Thieß wieder fort.

An diesem Tage zog das Gewitter herauf.

Am Spätnachmittag hob sich eine tiefdunkle Wolkc aus dem Meer, stand
hvch über der Marsch und warf im Zorn gerade Blitze wie goldene Spcere in
das Land. Jn der Ferne am Seedeich leuchtete ein Feuer auf. Die Wolke
kam höher und näher und stand gegen sieben Uhr abends, voll zum Bersten,
gerade über Sankt Marien. Die Männer, die auf den Feldern gearbeitet
hatten, suchtcn im raschcn Gang ihre Häuser; die Frauen standcn an den
Thürcn und sagtcn: „Jst gut, daß du kommst;" die Kinder liefen von ihren
Spielplätzcn in die Thüren.

Da brach es los.

„Das war cin Schlag!"

Zanuarheft 1902
 
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