Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0372

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Das hat eingeschlagen!"

Die Leute tratcn heraus und sahen sich um und sagten ciner zum
andern: „Es ist nichts zu sehen." Gleich darauf fing es an zu gießen. Die
mächtige Wolke brach und fiel aussinander und überdeckte, blaß und grau ge-
morden, den ganzen Himmel.

Es nmr nichts geschehen.

„Siehst du, Wieten?" sagte der alte Knecht, „das mit dem Hemd" . . .

„Sei du still", sagte Wieten.

Wietcn ging wieder in die Küche, und der Knecht kletterte die Leiter
hinauf, um Heu hinunterzuwerfen. Da kam der Kleine mit seinem fünfjährigen
Spielkameradcn auf die Diele gesprungen und sagte: „Kassen, wir wollen
mit hinauf."

„Junge", sagte dcr Alte, „du weißt, ihr dürft das nicht."

„Ach waS! Wir gehen mit!"

Da stiegen sie hinter dem Knecht die Leitcr hinauf und klettertsn den
schrägliegenden Hcuberg hinauf bis ganz nach oben.

„So", sagte dcr Kleine, „nun können wir nicht wciter."

„Komm her, ich will dich aufheben, daß du durchs Uhlenloch sehcn kannst."

Bald darauf kamen sie bside wieder herunter,, und der Knccht sagte:
„Na, habt ihr's schon satt?"

Es wurds acht Uhr, und Wicten schicktc dcn Jungen zu Bett. „Du",
sagte er, „ich muß dir man was sagen: Jch bin auf dcm obcrstcn Heuboden
gcwesen, zusammcn mit Frih Hanssen."

„So . . . das hat dein Vater dir verboten."

„Wenn ich dir abcr was erzähle, sagst du es nicht nach."

„WaS du wohl zu crzählcn hast."

„Soll ich mal sagen? Frih Hanssen ist da ganz oben gewesen, wcißt
du, wo am Dach das kleine Fenster ist; und was meinst du: da hat eine
furchtbar große, schwarze Katze gelegen. So groß wie ein Kalb. Die hat zwei
glühende Augen gehabt und ist auf ihn losgeschlichen."

„Nun leg' dich hin und schlafc," sagte sie, ging hinaus und sprach init
Jörn Uhl. „Jörn", sagte sie, „hat man nicht schon crzählt, daß ein Blitz
stundenlang in einsm Hause gelegen hat, ehe cr zündetc? Es war cin furcht-
barer Schlag. Auch redete dcr Junge so sonderbar. Thu' mir den Gefallcn
und geh' noch auf den Heubodcn; mir ist so ängstlich zu Mut."

Der stieg auf den Boden, kam wieder herunter, ging um Haus und
Scheunen und fand nichts Verdächtiges.

Es wurdc zehn, und sie waren alle zur Ruhe.

Da meinte der Blitz, daß HauS und Menschen sein wären, und machte
sich leise auf den Weg. Er wand sich mit langem, glattem Leib, blank wie
ein gut gcbrauchter Spaten, langsam zwischen Heu und Dach. Wo er, mit dcn
dünnen Armen vorlangend, hingriff, schwellte rote Glut auf. Als er sah, daß,
aus Mangel an Luft, Flamme nicht aufkommcn konntc, glitt cr schwellend bis
ans Fenster. DaS Fenster zersprang. Dic Eulc, die im Giebel saß, flog mit
lautem Uhschrei auf.

Wicten war von ihrcm Bett aufgestanden, schlich sich aus der Stube auf
den Mittelgang und sah durch die Scheibcn dcr Verbindungsthür auf dic große
Diele. Alles dunkel und still. Da ging sie wicder hiucin uud setzte sich auf
dcn Rand des Bettes, in dem der Knabe schlief und horchte.

Runstwart
 
Annotationen