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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0373

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„Es sind Menschen im Haus . . vier hier . . drei da . . zwei in der
Kncchtskammer . . und Jörn . . Mehr doch nicht? . . Doch nicht mehr? Nein
mehr nicht. Das Kind zuerst. Ja den Alten nicht vergessen! Zehn Menschen . .
zehn . . zehn . . . Die Tiere sind auf der Weide bis auf einige . . ."

Sie hörte einon Ton von der großen Diele her und stand wieder
gcrade aufrecht.

„Es muß ctwas unterwegs sein, irgend etwas. Jch fühl's in allen
Gliedcrn. Viclleicht hat mich der furchtbare Schlag so aufgeregt; vielleicht ist
eS etwas anderes." Sie stand wieder auf und horchte mit vorgebeugtem
Leib. „Hör', hör' . . . es ist doch nicht ruhig im Haus. Es schleppt und
wühlt; sie tragcn mit ihren Siebensachen, mit Ketten und Töpfcn" . . . Sie
schlich wieder nach dcr THLr. „Jch wußte früher einen Spruch, wie hieß er noch?

Gott und Petrus gehen über's Land,

Sie sehen brennen einen Brand,

Brand, du sollst nicht hitzen,

Brand, du sollst nicht schwitzen,

Bis die liebe Mutter Gottes
Jhren andern Sohn" ....

Ehe sie auSgesprochen hatte, als sie die Thür noch öffnete, kam von der
großcn Diele cin knisternder Ton, als wenn man junges Holz in eiue helle
Glut wirft.

„Feuerl" schrie sie, „Feucr!"

Das Mädchen, das in der Stube lag, hob sich jach im Bctt: da lag ihr
schon das Kind im Arm: „Du gehst mit dem Jungen nach Jasper Krep und
sichst dich nicht um."

„Jürnl Jörn!" . . Die Stimme konnte wohl Tote wecken.

Was ist das für ein Greifen nach der Kleidung, für ein gewaltiges
Arbeiten des Gehirns, für ein Hin- und Hergreifen der Hände. Und nachher
wciß man nicht, was man gedacht und gethan hat.

Jörn konnte spüter nicht sagcn, warum er zuerst nach der alten Lade
griff, und wie cr das schwero Ding, das weder Griff noch Handhabe hatte, und
auf welchem Wege er es hinausgctragcn hatte. Er crinncrt als erstes, daß er
wie ciner, dcr von draußen zur Nettuug in ein fremdes Haus stürzt, in die
Stube gclaufen ist und den schweren, alten Mann, der vor Angst um sich
schlug und laut schric, in die Bcttdecke gewickelt, auf den Hofplatz und über den
Weg getragen und in Jasper Kreys Stube in die cingemachte Bettstelle gclegt
hat, die auf dcr anderen Seite des Ofcns ist.

Dann lief er zurück, und nach dem Gefühl, das dem Landmann inne-
wohnt, rannte er in den Stall, schnitt die drci Pferdc los, die da standcn,
ui:d führtc die wild sich hebenden Tiere einzeln hinaus.

Es stand schlecht um ein Fohlen; der 5lnecht und herzugelaufene Nach-
barn konnten nicht mehr zu ihm kommen, aber da war eine Thür, dic war
jahrelang nicht geöffnet. Daran dachte er und nahm einen Windelbaum, der
da zufällig lag und schlug mit zwei Stößen die Thür ein und holte das Tier
glücklich heraus.

Nun war nichts inehr zu machen. Als er mit angesengtem Haar nnd
blutender Hand noch einmal hinein wollte, stellte sich ihm der Lehrer, der
gcrade angelaufen kam, in den Weg: „Menscheulcben ist mehr wert."

t- Ianuarbest tS02
 
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