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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 10 (2. Februarheft 1902)
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Schumann, Paul: Gurlitts Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0503

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zclncn sie allzu umfangreich machen mühte. Auch bei Lpringer findct man von
solcher „Kunsterziehung" nicht allzuviel, obgleich er in scinen Kollegien viel in
der Art vortrug, wie Wölfflin in seinem Buchc. Jn seiner Kunstgeschichte ist er
weit mehr Historiler, schildert er mehr die Entwickelung der Kunst, ihren Zu-
sammcnhang mit der jeweiligenKultur, den allgemeinen Geistesströmungen u.s.w.

Gurlitt sagt im Vorwort, er habe sich einen ncuen Standpunkt gcwählt.
„Die neuercn Kunstgeschichten stellen sich zumeist die Aufgabe, den Stand dcr
Forschung im Gesamtbilde wicderzugeben. Jch habe mir meine Aufgabe etwas
andcrs gestcllt; ich möchte die Kunstgeschichte so schildern, wie mir die Ent-
wickclung sich abgespielt zu habcn scheint, nachdem ich mich, sowcit ich ebcn
konnte, mit dem Stand der Wissenschaft vertraut gemacht hatte. Die Kunst für
die Kunst, lautet cin Stichwort unserer Zeit. Jhm nachgebildet ist das dcr
Kunstschreiber, datz sie aus ihrer Wisscnschafr heraus, ohne Hinblick auf Nach-
barivissenschaften, ihr Gebiet bewältigen wollen. Grotzes ist gclcistct wordcn,
indem die Kunstgeschichte als Geschichte der künstlerischen Form behandelt
wurdc. Diese Arbeit bietet der Betrachtung jetzt überall die Unterlage, den
willkommcncn Grund. Man könnte darnach wohl glauben, Gurlitts 5lunst-
gcschichte sei cin Werk so subjektiver Art, wie etwa Muthcrs Geschichte dcr
Malcrei. Doch ist dies keincswegs dcr Fall, cs ist vielmchr im wesentlichcn cin
sachlich-historisches Werk.

Das Subjcktive kommt freilich in dcr Charakteristik cinzelncr Künstler-
pcrsönlichkeiten zur Geltung. Wie, das zeigt am besten eine Probe. Setzen
wir also einige bezeichncnde Stellen aus Gurlitts Charakteristik über Rubens
her: „Ein gewaltigcs Künstlcrtum, cine grotzartige Freiheit der Form, die
vollkommcne Sichcrhcit des Aristokraten spricht aus dem Lebenswerke Nubens'.
Abcr diese Frcihcit ist nicht die eincs völlig auf sich beruhenden Geistes, nicht
die eincr widerspruchSfrcien Wcltanschauung. Sie ist rcalistisch, wahr ihrcn
Acutzcrungcn nach, sie ist abcr unsichcr im inncrsten Kcrn; sie mutz nach Schön-
heit suchcn, weil sie nicht ganz sich geben darf, wie sie empfindct. Nubcns war
eine durchaus sinnlich angelcgtc Natur; man braucht nur in sein Antlitz zu
schauen, dic hochgeschwungencn Nüstcrn, die volle llnterlippe zu erwägcn; man
braucht nur zu sehen, mit wclcher Bcgcisterung er sich in die Reize seiner
beiden Frauen immer aufs neue vertiefte, um zu erkeimen, wie stark dieser
Zug in seinem ganzen Wesen ist; datz dieser es ist, der ihm vorzugswcise die
Kraft gab, scine künstlcrische Höhe zu ersteigen. Malte cr doch namcntlich,
nachdem cr, 52 Jahre alt, die ,6 jährige Helene Fourmcnt geheiratct hattc,
dicse immer wiedcr in ihrer vorwiegend körpcrlichen Schönhcit (im Schlotz
Windsor), mit ihrem nackten Sohn (in der Pinakothck zu München), mit zwci
Kindern (im Louvre zu Paris), reich gekleidct (in der Eremitage zu Peters-
burg), nackt mit umgenommcnem Pelz (in der Galcrie zu Wien) u.s.w. Selbst
ein schöncr Mann, licbte cr es, schöne Menschcn zu schildern. Man hat gesagt,
es läge in der Natur vlämischcr blondcr Weiber, datz sic übcrall, von glünzcnd
wachsfarbener Haut, voller lachender Grübchen scicn. Abcr man wird sich in
der älteren Kunst dcs Landcs vcrgeblich nach solchcn Frauen umschen: Nubens
hat sic crst entdcckt, cr lchrte crst, in dcm Blühenden, Glänzendcn ;u schwelgen,
dcm Gold dcr Haut den HLchstcn malcrischen Neiz abzugcminnen, indcm cr
cs nebcn daS ticfstc Not des Purpursammets und das leuchtcndc Blondhaar
setztc. llnd da bleibt cs sich denn gleich, ob er die Grazien, das Urteil dcs
Paris, den Raub dcr Proserpina malt odcr die Scligen und die Unscligcn des
Jüngsten GerichtS: übcrall lacht das grubendurchfurchte gclbe Elfcnbcin der Haut

2. Februarhcft ,902
 
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