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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 10 (2. Februarheft 1902)
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Schumann, Paul: Gurlitts Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0504

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dem Beschauer als dcr Grundton seiner malerischen Behandlung entgegen.
Seelisch geht der Ausdruck seiner Frauen, selbst seincr Marien, zuineist nicht
über den Wert einer vornehmen, frommen und klugen Hausfrau hinaus. Bei
seinen Darstellungen der Antike sieht man, daß es ihm vor allem darauf an-
kommt, immer wieder aufs Neue der Welt zu zeigen, wclche erstaunliche Leucht-
kraft der blonde, vom Tageslicht getroffene Frauenleib habe. llnd wenn Rcihen
von Bildern des Meisters und seiner Schule beisammenstehen, in dcncn dicse
Lehre gepredigt wird, kann einem bci so viel fettem Weiberflcisch wohl übel
werden. Die Männer sind breit, muskelschwer, aber kräftig und bcweglich.
Jm Ausdruck stehen sie noch eine Stufe unter den Fraucn. E3 ist Rubcns
genug, wenn sie sich richtig und mit Wucht bewegen, wenn man ihnen die oft
übermäßige Anspannung der Sehnen glaubt. Nicht ein im ticfsten Jnnersten
Erlebtes sollen sie schildcrn: Rubcns malte mit Duhendcn von Schülern in
ihm fertig Gewordenes; er schöpft aus ciner starkcn Empfindung, auS dem
Reichtum eines freien und edeln Menschentums; seine Kunst ist sorgenloS und
sorgenstörend, innerlich heiter, selbst wo sie das Ernsteste schildert: abcr es ist
nie ein wirklich tiefer Mensch, der aus ihr redet. Er ist ein großer Mcistcr,
Lionardo und Michelangelo aber waren große Seelen gewesen. Und wcnige
Meilen von Rubens, in dcm protestantischen Bruderlandc, das er nur einmal
besuchte, um im spanischen Dienst die der Befreiungsbestrebungcn verdüchtigcn
Landsleute zu überwachen, in Amsterdam, lebte schon cine drittc großc Sccle:
Rembrandt." Diese Stelle mag gleichzeitig eine Probe von Gurlitts anrogcndcr
Schreibweise und von dcr Subjektivität gcben, die er im Vorwort betont. Man ver-
gegenwärtige sich zum Bergleich dic begeisterte, nachschaffcnde, alle Vorzüge der
Rubcnsschcn Gcmälde bis ins Klcinste aufspürende Kritik Jakob Bnrckhardts in
seinen Erinncrungen aus Rubcns (vgl. Kw. XI, ^4).

Wir können, wie gesagt, troydcm nicht finden, daß in Gurlitts Dar-
stellung das Subjektivc über der sachlich-historischcn Anschauung stünde. Wenn
aber Gurlitt weiter sagt, die früheren Vcrfasser hättcn nur darnach gestrebt, aus
ihrer Wissenschaft heraus ohne Nachbarwissenschaften ihr Gebiet zu bewältigen,
so scheint mir das nicht ganz gerecht zu scin. Man lese nur einmal beispiels-
weise in Anton Springers „Bildern aus dcr neueren Kunstgeschichte" über
Klosterleben und Klostcrkunst im Niittelalter, über die byzantinische Kunst und
ihren Einfluß im Abendlande, über Ncmbrandt und scine Gcnosscn, über dcn
Rokokostil. Da ist nichts von ängstlichcr Umgrenzung des Gebietcs, um die
„Geschichte der künstlerischcn Form" zu cntwickcln. Aber frcilich in Springcrs
„Kunstgeschichte" licst sich das alles weniger anregcnd, wcil der gesamte Stoff
kurz zusammengedrängt behandelt werdcn muß. Dicsem llcbelstand verfällt
jeder Kunsthistoriker, der sich nicht in belicbig brciter Darstcllung crgchcn darf,
weil der Verleger statr vierundzwanzig nur vier oder zwei Bünde bewilligt.
Auch Gurlitt wird trotz der ;500 Seiten seines Buchcs unter dem Zwangc der
Zusammendrängung geseufzt habcn, besondcrs als er die Kapitel über das
ly. Jahrhundcrt schrieb und mancher wichtigen Erschcinung nur ein paar Zcilen,
andern nur die Nennung deS Namcns widmen konnte. Für dicscn Teil muß
daher Gurlitts Geschichte der Kunst im 19. Jahrhundert crgänzend cintretcn.

Jn dem Schlußaufsatz scincr „Bilder", bctitclt „Kunstkenncr und Knnst-
historiker", legt Springer die umfasscnde und übcrauS schwicrige Anfgabe dcr
Kunstgeschichte dar. Darnach ist Gurlitts Ansicht, dic Kunstgcschichtc alö Gc-
schichte der künstlerischcn Formcn sci nicht ihr letztcö Ziel, durchans richtig.
,Die Kunst ist doch nur, wie er sie sich als Jdcal dachtc, zu verstchcn nlS
Aunstwart
 
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