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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 15 (1. Maiheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0222
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wünscht doch, anch bei den andern
Lesern nicht in den Ruf eines
Plagiators zn konrmen.

Älber Kutturpolitik

hat die „Frankfnrter Zeitung" eine
Umfrage an einige wenige „For-
scher und Führer, Dichter und
Künstler" gerichtct, auf dercn Ergeb-
nisse wir vielleicht noch zurückkom-
mcn. Der Herausgeber dieses Blattes
hat das Folgende gcantwortet:

Als die gefährlichste „innere Krank-
heit" der Zivilisation erscheint mir
ein Vorgang, der, glaube ich, gerade
deshalb wenig beachtet wird, weil
seine Erscheinungen tagtäglich zu
sehen und also uns allen gewohnt
sind. Ieder wcitz aus einer Menge
von Beobachtungen, wie leicht dcm
Künstler seine Kunst I'art pour I'art
und wie leicht dem Gelehrten seine
Wissenschaft aus einer Arbeit um
Erkenntnis zu einer Beschäftigung
um ihrer selbst willen wird, jedcr
weiß, wie lcicht der Offizier zu
einem Fühlcn kommt, als sei die
Armee um der Armee, der Be-
amte, als sei die Beamtenschaft
um der Beamtenschaft, der Nichter
sogar, als sei das Necht um des
Nechts willcn da, während dem
Kaufmann gelegentlich die „Firma"
zum Fetisch wird. Die pshchische
Kraft erlahmt im Mittel, verliert
dabei den Zweck aus dem Auge
und betrachtet und Pflegt dann das
Mittel, als läge in ihm schon der
fernere Zweck. So wiederholt sich
vieltausendfach die Psychologie des
Geizhalses, dcr bei seinen Schätzen
verhungern kann, weil ihm das
Geld zum Selbstzweck geworden ist.
Ich fürchte, dieser Geizhals kann
zum Shmbol der eigentlichen Tragik
unsrer ganzen Zivilisation wer»
den: ihr droht immer die Gefahr,
daß die Mittcl übermächtig wer-
den, womit dann der Fortschritt
aufhört. Zur Bekämpfung dieses

l- Maiheft 1909

„Steckenbleibens" scheint mir
eine bewußte Kulturpolitik mög-
lich, zunächst schon durch Unter-
suchungen und Hinweise, wo bei
den einzelnen Aufgaben dic näheren
und kleineren und wo die größeren
und entscheidenden Ziele liegen. Und
sie scheint mir geboten, wenn die
Zivilisation nicht die Kräfte in der
Ausgestaltung der Mittel aufbrau-
chen, mit andern Worten: wenn
sie nicht mit der Zeit in den eigenen
Erzeugnissen ersticken soll.

Auch sonst glaube ich an Mög-
lichkeiten bewußtcr Kulturpolitik.
Wenn uns die außerordentliche Be-
deutsamkeit der normalen Freu-
digkeit klar gewordcn ist als des
Ausdrucks davon, daß die psychische
Persönlichkeit sich nährt, so wird
uns der Mangel an gesunder Freu-
digkeit als ein Zeichen ungünstiger
Kulturverhältnisse erscheinen, und
wir werden Zustände erstreben, die
solche Freudigkeit erzeugen. Eine
soziale hhgiene des Geistes fehlt
uns noch. Ich sehe in ihr eine
der beiden Hauptaufgaben der
„Ausdruckskultur", die weiter greift
als die sogenannte ästhetische Kul-
tur. In Erinnerung der großen
Wichtigkeit der Freude könnte sie
die Gestaltenden dazu erziehen, die
Erscheinungen des Lebens so er-
freulich wie möglich zu bilden, und
die Empfangenden dazu, ihre Emp-
fänglichkeit in der Aufnahme und
Auslese jener Freuden zu üben,
die, um mit Goethe zu sprechen,
sättigen und nähren. Die Aus-
breitung der Gcnußfähigkeit bedeu-
tet zugleich die Vergrößerung der
Nährschicht für die Hervorbringer
geistiger Werte. Die zweite Haupt-
aufgabe Lsthetischer Kultur sehe ich
darin, daß sie eine bessere Selbst-
kontrolle der Nation über ihre
ethischen Zustände ermögliche. Kann
man doch mit nichts schlechter lügen
als mit Kunst, dcr „Sprachc des


Gesellschaft
 
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