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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Wann geht's an die Herrentracht?
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Bonus, Arthur: Vom Aberglauben
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0366
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Spiel, Sport, Reise. Insbesondere aus der A r b e i t s kleidung muß
ja wohl eine Reformation unsrer Tracht kommen, wenn sie über--
haupt kommcn kann. Wie die Dinge liegen, bietet für die Männer--
tracht der sogenannten guten Gesellschaft am ehesten Besserungs--
möglichkeiten der S P o r t. Von den breiteren Schichten des Volkes
sprechen wir heute nicht, haben das aber früher getan. Wer nicht
nur die „Gesellschaft", wer unser Volk als Ganzes ansieht, muß
eigentlich glauben: es äffe jeder „Stand" immer den nächst „höheren"
nach, der Arbeiter und der Bauer den Kleinbürger, der Kleinbürger
den „Bourgeois", der „Bourgeois" den Herrn der „Gesellschaft".
Meistens ist es ja wohl auch so. Und wird so bleiben, bis das
Arbeitskleid eines jeden als das Ehvenkleid anerkannt wird, das er,
so lange es noch keine Gebrauchsspuren zeigt, als Festkleid trägt.
Bei einigen Berufen hielt man es früher so. And erst wenn es
wieder so sein wird, werden aus schön gestalteter Zweckmäßigkeit auch
wieder schöne Männertrachten aus breiteren Saaten aufgehn.

Aber so lange brauchten wir nicht zu warten, wir könnten immer--
hin schon mit etwas mehr Entschiedenheit beginnen. Wie bei all
solcheu Fragen ist das erste und wichtigste, daß ein allgemeines
Interesse für die Sache entstehe. Eine allgemeinere aufklärende
Agitation täte gut, damit die praktischen Draufgänger mehr Toleranz
im Publikum fänden und mehr Leute, die wüßten, was sie über--
haupt wollen. Im Anfange würde es natürlich an Verfehltem von
Mißgriffen bis zu schweren ästhetischen Unfällen hin am wenigsten
mangeln. Das schadete ja nichts, das könnte ja gar nicht anders
sein: auch die neue Bewegung in Baukunst und Kunsthandwerk hat
sich erst am Erleben des Erträumten reinigen und stärken können.
Hier, wo Gegenstände von so viel kürzerem Gebrauchswert produztert
werden, als dort, brauchen wir uns vor dcm Most erst recht nicht
zu fürchten, aus dem Wein werden soll. Wohl ein paar Iahre
lang würde alles nur Vorbereitung sein. Dann würde auch hier
der Rus gut tun, der uns anderswo so genützt hat: „Künstler heran!"
In einer noch späteren Zeit würden die Künstler wieder entbehrlich
werden, weil dann die Facharbeiter im gewissen Sinne künstlerisch
geschult sein würden. Wie sie das ja auch in vergangenen Zeiten
waren. A

Vorn Aberglauben

^^n einem Aufsatze über den Begriff des „Poetischen" wies Avena--
^(rius (Kw. XIV, (3) darauf hin, eine wie große Rolle dabei das
Reu-ins-Bewußtsein--treten uralter Vorstellungen spiele.

Es ist das meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Element alles
Poetischen. In Reinkultur sozusagen hat es die Romantik ange-
wandt,- es ist aber auch ohne spezifisch romantische Ausprägung überall
da zu Hause, wo gedichtet, ja, wo nur dichterisch empfunden wird.
Es ist gar nicht zu umgehen. Auch der entschlossenste Antiromantiker
unsrer Tage, Tolstoi, hat es überall. Es zurückdrängen und dennoch
wirklich dichterisch sehen bedeutet nur den natürlichen nächsten Aus-
druck eines wesentlichen Elements hintanhalten, um dadurch neuen
Ausdruck herbeizuführen. Vorurteilsfreier Prüfung wird er sich den-

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