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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 13 (1. Aprilheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0075
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Körperpflege

tränken, irgend etwas BesondercZ,
Persönliches, kurz: das Pflege--
rische, dessen Ausübung der Fran
ausweislich der Arbeit in Sanato--
rien und Erholungsheimen so be--
sonders gut liegt. Wer in einer
Ausstellung mal ein halbes Stünd-
chen „ausspannt", will Ruhe haben,
vielleicht sogar seinen Liegestnhl,
^ und des Gefühls ledig sein, nur
^ als möglichst viel zahlende Nummer
Wert zu haben. Unsrer Meinung
nach könnten solche „Raststätten"
nach und nach zn starken Werbern
für den Abstinenzgedanken werden,
wcnn sie gnt eingerichtet würden.
Warum versucht man sie nicht häu-
figer? Wir habcn uns bei gebil-
detsn Frauen erknndigt und von
ihnen gehört: die Veranstaltcr der
Ausstellungen wünschten sie nicht,
man fördere ihre Einrichtnng nicht
nur nicht, man verhindcrc sie ge-
radezu aus Sorge vor dem Alko-
holkapital oder aus andern unbe-
kannten Gründen. So wäre es uns
lieb, wenn wir bald von weiteren
Versuchen berichten könnten, sei es
von erkämpften oder selbst von un-
terlegenen: nur in der Praxis kön-
nen wir die Bedingungen auch die-
ser kleinen Kulturarbeiten stndieren.

DileLtantisrnus in der
Körperkultur

chon früher, aber besonders seit
der Däne I. P. Müller seine
übrigens vortreffliche Anweisung zu
täglichen häuslichen Turn- und
Frottierübungen unter dcm Titel
„Mein Shstem" herausgab, sehen
wir in den Bnchhändlerauslagen
iinmer neue Schriften auftauchen,
die gewöhnlich durch das Bild
irgendeines Muskclmannes oder
eincs Schönheitsweibes auf dem
Umschlage die Blicke des naiven
Publikums anlocken. Der Rnhm
Müllers ließ ihre Antoren nicht
schlafen. „Mein neues System"

oder gar „Das beste Shstem" oder
ähnliche Titel verraten die Abkunft
solcher Broschüren, die doch offen-
bar noch immer ihre Käufer finden
müssen. Wenn diese Leitfäden von
Männcrn der sportlichen Praxis ge-
schrieben sind, dann enthalten sie
immerhin ein brauchbares Abungs-
matcrial. Kniebeugen, Beinschwin-
gen und Rumpfdrehen sind inter-
nationale Turnübungen, die man
ohne Schaden empfehlen kann.
Wenn solche Sachen nicht auf dic
Züchtung von Athletengestalten mit
dicken Muskeln und angekränkelten
Herzen hinaussteuern, dann können
sie ja anch ihren Nutzen stiften.
Freilich, um eine wirklich sinnvolle
und harmonische Entfaltung des in
der Entwicklung bcgriffenen jugend-
lichen Körpers zu verbürgen, wie
sie zum Beispiel die schwcdische Er-
ziehungsghmnastik crrcicht, dazu ge-
hört eine gründliche Einsicht in die
natürlichen Gesetze des Wachstnms
und ein menschlich taktvolles, künst-
lcrisch abgestimmtes Verfahren, das
sich durch sorgsame wissenschaftliche
Vertiefung von dem rohen Natura-
lismus des schweißtreibenden Kraft-
meiertums sehr wesentlich unter-
scheidet. Aber von dieser Vertie-
fung wollen wir in diesem Augcn-
blick gar nicht reden, wir wollen sie
von diesen Gelegenhcitsschriftcn und
Drillkatechismen gar nicht fordern,
sondern ihre aus der Lnst an der
kraftvollen Bewegnng geborencn,
empirisch gewonnenen Handgriffc
nnd Kunststücke nnter Vorbehalt
gcrn gelten lassen. Was wir aber
dafür als Gegenleistung verlangen
dürfen, das ist, daß sich nun solch
ein Schriftsteller nicht doch ein wis-
senschaftliches Mäntelchen umhänge
nnd mit den Posaunentönen einer
übelmachenden Reklame vcrsichcre,
daß nnr er in die tiefen Gchcim-
nisse einer unfehlbaren Methode
einzuführen vermöge, daß gerade er

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