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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0229
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Naturschutz

lehrt wohl folgendes: die beiden
darstellerischen Leistungen geschehen
örtlich und zeitlich getrennt. Es ist
nicht zu fürchten, daß der Schüler
bei einer der beiden Tätigkeiten,
besonders nicht bei der Nieder-
schrift seiner Gedankcn und Lin-
drücke, oberflächlicher arbeiten wird
als sonst. Inr Gcgenteil! Denn
wenn ich einen Gegenstand zeichne,
bin ich gezwungen, ihn mir genau
und gcnaucr anzusehen und einzu-
prägen. Ich kann also wohl sagen:
Fch sehe mehr, wenn ich zeichne!
und zumal, wenn ich dann auch noch
schriftlich über den Gegenstand Re-
chenschaft geben soll! Ich beschäf-
tige mich also intensiver mit meinem
Stoff als sonst viellcicht, und das
kommt msinen Kenntnissen, meinem
Denken, meinen sprachlichen wie
graphischcn Ausdrucksfähigkeiten
nur zugute.

Endlich ist noch wichtig die
ästhetische Schulung. Denn
vor allem alles ästhetisch Wertvolle
der Natur- und Kulturwelt könnte
hier seine Pflege finden. Zumal was
die Hcimat an natürlichen und Kul-
turwerten bietet, was sie Beson-
deres, Eigcnes und darum Schönes
hat, was wir erst schätzenlernen,wenn
wir's uns selber erarbeitet haben —
das könnte man den Schüler durch
solche Nrbeitcn sich zu eigen machen
lassen, ganz anders, als es jetzt
noch geschicht. Schreibend und zeich-
ncnd übe ich meine Fähigkeiten an
einem und demselben Gcgcnstand.
Ich dürfte durch diese Doppeltätig-
keit nicht nur rein stofflich mehr
wahrnehmen von dem, was wahr-
zunehmen ist, ich werde auch mehr
fühlen, — für formalc und innere
Werte mchr Gefühl bekommen und
infolgedessen mehr aus mir heraus-
gehen. Ich bilde also nicht nur
mein Auge, vermehre nicht nur
mein Formgedächtnis und Form-
gefühl, die Ausdrncksfähigkeit meiner

Mittel, und zwar der sprachlichen
sowohl wie der graphischen, son-
dern ich bereichere mich durch all
das auch intellektuell und seelisch
allgemein. Was unsre Schüler, be-
sonders die intelligenteren unter
ihnen, in Wort und Vild bei dicsen
Aufsätzen uns gebracht haben, war
das Beste, was wir von ihnen bis-
her überhaupt bekommen hatten.

Unsre Schüler kommen im heu-
tigen Unterrichtsbetrieb zu wenig
dazu, etwas Ganzes, Sichtbares,
Eignes zu schaffen. Sie müssen
immer noch zu einscitig nur zer-
gliedern, Einzelheiten auffassen und
Einzelheiten wiedergeben. Gerade im
Aufsatzbetrisb sind„Disposition" und
„Gliederung" typische Worte. Ge-
rade aber das Aufbaucn zu lehren:
bedeutet das nicht viclleicht die wich-
tigste, freilich auch die schwierigste
Aufgabe dcr Schule?

August Völker

Märtyrer-Pflanzen

aum haben die ersten Lenzes-
boten, die Weiden, sich mit den
feinen wcißen Kätzchen geschmückt,
so säbclt man die Weidenkätzchen-
zweige ab, die den Bienen die erste
Nahrung bietcn. In ganzen Bün-
deln werden sie in die Städte ge-
schafft und verhandelt. Die Wcide
hat Leidensgenossen. Kaum öffnet
das schöne Leberblümchen seine dun-
kelblauen Augensterne, und schon
werdendieBlütenabgerupft, ja, wer-
den die Pflanzen mit den Wurzeln
ausgerissen, denn „Waldleberblüm-
chen" sind im Handcl. In ganzen
Gegenden ist die llepatics schon sel-
ten gewordcn — von Iahr zu Iahr
wird der deutsche Wald ä r m e r.

Wenn später im Iahre die
schlanke Wasserlilie aus dcm See
schaut, dann geht's auch ihr ge-
radcso. Wir treffen die weiße See-
rose, die Seelilie in den Auslagen
der Gärtner als Schmuck der Toten-

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