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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 1 (Oktoberheft 1923)
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Kuntze, Friedrich: Das Alkoholproblem: Betrachtungen über seine metaphysische, psychologische und soziologische Seite
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0049

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habung fordert man. Alkoholvertrieb und Wirtschaftsbetrieb sind genau
solche öffentliche Einrichtungen; anch die wollen ihre Spesen, wie das
schon der alte Iesus Sirach gewußt hat — weshalb fordert man ihr Ver--
bot? Weil man — neben anderen — eben nur die Oberfläche des Phä-
nomenes ins Auge gefaßt hat, und nicht weiß oder nicht wissen will, daß
all diese äußeren Formen durch letzte Dispositionen der Menschennatur
überhaupt geschaffen sind. Dies bringt uns zur Metaphysik unseres
Problems, und von der soll in der Fortsetzung dieses Aufsatzss die
Rede sein. _ Friedrich Kuntze

Vom Aeute fürs Morgen

Berliner Theater

er Inder erkennt seine Götter
daran, daß ihnen kein Schweiß auf
der Stirne steht. Wenn diese Weis-
heit auch im Abendland gölte, so wan-
delten wir in Berlin zu Beginn der
neuen Spielzeit dnrch eine ganze Allee
von Göttern. Noch nie hingen des
tzimmels Wolken auf unsre Theater
so schwer herab wie jetzt, noch nie haben
es sich ihre tzüter mit dem Beginn so
leicht gemacht wie diesmal. Wohin tnan
blickt, Lustspiele, Komödien, Schwänke
der windigsten Art, zum großen Teil
nicht einmal neu, sondern aus alten
Truhen hervorgekramt, wo die billigen
Publikumserfolge eingemottet liegen,
oder aus Nachbarländern bezogen, wo
die Kastanien schon aus dem Feuer ge-
holt worden. Den Theateraberglauben,
daß man zu Ende der Spielzeit den?
Lockungen des Frühlings nur mit leich-
ter Lustspielware begegnen dürfe, gab
es schon immer; jetzt glaubt man auch
dem Herbstbeginn nicht anders beikom-
men zu können.

In deu Kammerspielen waren zur
Feier der Wiedereröffnung drei neue
Einakter von einem neuen Mann, also
— meinte man — von einer neuen
dramatischen Hoffnung angekündigt.
Als man hinkam, spielten sie Streckers
„Krokodil" zum! 39- oder HO. Male. Das
ist gewiß ein lustiges, unterhaltsames
Stück, aber doch nicht gerade ein reprä-
sentatives Kammerspiel. Dafür gab es
bald darauf nebenan im Deutschen'
Theater Shaws „Pygmalion",
die Komödie von dem Londoner
Straßenmädel, das durch Sprach- und
Anstandslehre?zur Gesellschaftsfähigkeit
dressiert werden soll, und von dem auf-
geblahten, grobianischen Iunggesellen-
Professor, der statt dessen von dem

Vorstadtkind zum manierlichen Ehe-
mann erzogen wird: eines von Shaws
späteren Stücken, gar nicht mehr „un°
pleasant", im Gegenteil höchst gefällig,
änßerst publikumsfreundlich und zudem
hier (mit Käthe Dorsch als Miß Sans-
Gene) stark auf denSchwank hin gespielt.

Das Kleine und das Lessingtheater
halten's mit Österreich, das „glücklich"
ist und glücklich bleibt, auch wenn es
nichts mehr zu „heiraten" gibt. Dort:
„Klarissas halbes Herz", ein
Lustspiel von dem Prager Max Brod,
der sonst in Drama und Roman ern--
stere und steilere Wege geht, halb Ge-
fühls-, halb Verstandeständelei, die den
schmerzlich-süßen Kontrast zwischen dem
heißen Künstlertum, das auch mit halbem
Herzen ganzeFrenden, ganzeLeiden fühlt
und spendet, und der kühlen Bürger-
lichkeit, die sich mit halben Gefühlen
und halben Opfern durchs Leben
schlägt, auf die leichte Achsel nimmt
und sich von der Hauptdarstellerin, der
großen liebe- und lorbeerverwöhnten
Diva (Leopoldine Konstantin), mehr als
durch eigne literarische Anstrengungen
den Publikumserfolg holen läßt. tzier:
„Der Am b e st e ch li ch e ", ein fünf-
aktiges Lustspiel Hugo von Hof--
mannsthals, aus der österreichi-
schen Adelswelt, das von seinem Vor-
gänger, dem allzu komplizierten „Schwie-
rigen", gelernt hat, daß man auf dem
geraden, schlichten Wege volkstümlicher
Gemüts- und Moralmotive eher zum
erwünschten Komödienziele gelangt als
auf den verschlungenen Seitenwegen
intellektueller Nuancen. Drum schreibt
es einem so zuverlässigen, sieggewohn-
ten Komiker wie Max Pallenberg eine
herzhaft frische und fröhliche Diener-
rolle auf den Leib, die den Leporello,
Don Iuans gewissensweiten Liebeshel-

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