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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1924)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zeitliches
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0150

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Zeitliches

ist die Mark hin? Ist sie weg oder wieder da? Wir haben zwei
/ H Marken; und das durch einen Akt der Untreue. Während die alte
auf ihrer Leiter sich in die Billionenwolken verstieg und dem nach--
weinenden Auge unsehbar klein ward, nahmen wir uns schnell eine andre,
hinter deren freundlicher runder Eins wir die zwöls Nullen nicht ge--
wahren, welche doch auch ihre Hohlheit verbürgen. Die Neue aber sucht
sich einstweilen durch Wundertun einzuschmeicheln. Noch ist ihr verbor-
genes Nullensystem nicht ins Wachsen oder Schwinden gekommen; aber
den Preisen hat sie zugerufen: Steht!, und sie standen. Nnd kaum standen
sie, da zitterten sie auch schon lang-langsam in Promillchen wöchentlich
von ihrer Schwindelhöhe herunter, währsnd die Mark, welche das latte Wort
Rente im Namen führt, davon ungerührt lächelte. Diese wunderbare Zweit-
geburt des Willens zum Festgeld wirkt nun weiter seelisch-soziale Ereig-
nisse. Zwar, wir sind um keinen Altpfennig reicher geworden; es begibt
sich vielmehr das Paradox, daß wir bei sinkenden Preisen elender sind als
wir js seit 1,870 oder s850 waren. Aber ihrem Namen getreu gibt sie
„Rente". Der letzte Laufjungs des Provinzblättchens erzählt es auf Anruf:
Wir können wieder „rechnen", wisder sparen! („Schon gut, sagt Mephisto,
nur danert es nicht lange!" Doch das weiß selbst er nicht!). Man fieht
Gesichter strahlen und HLnde sich reiben über diese Aussicht. Nnd vor
jeglichrr Kritik dieser Gesichter und Hände wollen wir einmal Atem holen
und den Augenblick preisen! wollen mitfühlen mit den vom Wettlauf Er-
schöpsten, mit den armen Opfern der Zeit, welche sich um „Gutscheine" in
Anstehschlangen bei Frost und NLsse Plattfüße, Lungenentzündung und
alles graue Elend der Not holten, welche um Tausendmarkgewinnlein
alltäglich die Ruhe ihres Hauses auf Stunden preisgaben, welche mit der
Bitterkeit des Nichtverstehens ihr Wohlerworbenes von Morgens bis Mitter-
nacht an der Heißsonne der Wechselbörse hinschmelzen sahen und keinen
Augenblick mehr ihres ohnehin dürftigen Daseins froh wurden, solange
das „Schwundgeld" die Losung war. Sie sind — für diesmal, für den
Augenblick — erlöst. Nichts, gar nichts, kein Nachteil kann den unnenn-
baren Gewinn auslöschen, den es bedeutet, daß einmal eine Lntspannung
den Millionen Frauen und Hunderttausenden von Männern gegönnt ist,
die unter dsr unheimlichen Last der Kurssenkung ächzten!

Nun aber sei eins erinnert. Ein kleinerer Teil hats ganz anders durch-
iebt! Ein kleinerer Teil hat die Entwertung der alten Mark als „Ent-
wertung des Geldes" schlechthin erfaßt. Wir haben den Vorgang bis ins
Tiefste als Symbol begriffen. War uns allenfalls früher „Geld" noch
ein „Wert", ein höchst erstrebenswertes Gut, Sparen nicht nur eins neben-
sächliche Zweckmaßnahme, sondern ein ideales Tun, war uns die alte Mark
gar Selbstzweck, so verstanden wir ihr Hinschwinden als verdiente Lehre!
Wie sie treulos wurde, wurden wir dem Zweck treulos, dessen Inhalt sie
gewesen war. Wir wurden ärmer und ärmer an kauffähiger Mark, wäh-

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Februarheft ^924 (XXXVII, sj
 
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