Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1924)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Rausch und Alkoholrausch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0192

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nausch und Alkoholrausch

s ist ein tiefer und wertvoller Aufsatz, in dem Friedrich Kuntze das

Alkoholproblem behandelt (Oktober- und Dezemberheft des Kunstwarts).

Auch der Spiegel, den er uns Alkoholgegnern vorhält, wirft ein Bild
zurück, das durchaus nicht eine Fälschung darstellt. Wir wollen es uns
gesagt sein lassen. Ressentiment in mannigfaltiger Art und jene Art
geistiger und geistlicher Herrschsucht spielen in unseren Reihen eine Rolle,
die der reinlichen Austragung der Frage gefährlich wird. Ilnd nicht wenige
sind auch bei uns, die sich die Sache geistig zu leicht machen.

Dem allen gegenüber gilt, daß man eine Sache nicht beurteilen darf nach
den Schwachen und Halben, die sie vertreten, sondern nach ihrer eigenen
innern Bedeutung. Diese Bedeutung wird man erst erkennen, wenn man
die Ernsten und Tiefen fragt und beobachtet, in denen sie lebt. Es scheint
mir doch, daß Friedrich Kuntze hier nicht ganz dieser Regel gefolgt ist.

Aber er hat das Problem in einer Tiefe und Wucht gestellt, die gerade
für uns Gegner des Alkohols erfreulich sein muß. Solche weltbeherrschen-
den Mächte wie der Alkohol sind nicht zufällige Dinge. Irgendwo muß im
Seelenleben des Menschen eine Notwendigkeit zu ihrer Herrschaft hindrän-
gen. Daß Fr. Kuntze diese Notwendigkeit aufzeigt, scheint mir sehr wertvoll.
Nun können wir fragen, ob wir uns dieser Notwendigkeit beugen wollen,
können, müssen oder ob wir sie für uns, für andere, für unser Volk über-
winden wollen — ob dazu Möglichkeiten, ja Notwendigkeiten vorliegen.

I

„Bruder Rausch" hat in der seelischen ökonomie des Menschen seine
große Bedeutung. Menschenleben ist Wirken jener irrationalen Gewalten,
die unfaßbar hinter uns allen stehen, in uns leben, aufsteigen, schaffend und
zerstörend wirken — und es ist jenes rationelle Gestalten in „vernünftigen"
Formen, in denen wir diese irrationalen Gewalten beherrschen und hemmen,
das ungeheure Himmelsfeuer zum behaglichen Kochfeuer und den himmel-
stürmenden Gedanken zum klugen Rechner machen, in denen wir uns zu
einander bequemen und einander nützlich machen, daß jeder den andern
gernmnd behaglich erträgt und wir so zu einer Gesellschaftsordnung kommen,
die für einen jeden ein gut Stück Ausschalten und Erdrücken seiner irratio-
nalen Gluten und Lebendigkeiten bedeuten. So mannigfaltig ist die
menschliche Seele — jede menschliche Seele — daß keiner in seinem Beruf,
seinem Werk, seinem Einordnen in die Gemeinschaft wirklich das alles zu
lebendigem Wirken und Gestalten bringen kann, was in ihm lebt. — Des-
halb haben wir den Rausch nötig, den Zustand, da wir uns entfesseln lassen
von den Hemmungen des Lebens, der Einordnung, der Arbeit, des Berufs,
des Vorurteils, der Argusaugen sittenrichterlicher Amgebung. Wir selbst
sind wir, die heißen Gewalten entregen sich, leben, gestalten, träumen, lachen,
tollen. Wir leben wieder einmal als ganze Menschen aus all dem Nnter-
drückten und Gehemmten in uns.

(69

Märzhest ,92, jXXXVII, e)
 
Annotationen