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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1924)
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Schumann, Wolfgang: Maarten Maartens
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0200

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Maarten Maartens *

^^H^aarteu Maartens lebte als Holländer in Holland und liebte das
I / Land, das sein Vater erwählt hatte, dem seine Mutter und seine
^"^^Gattin entstammten, als seine Heimat. Doch gehörte er geistig
nicht ihm allein. Holland, Land vollkommener Kultur im heutigen euro--
Päischen Sinn des Wortes, ist kein literarisches Land. Es hat zwar in
Multatuli und van Eeden und ein paar anderen Schriftsteller von hohem
Rang hervorgebracht, doch keine geschlossene, weltspiegelnde, problemerschöp-
fende, das Geistesleben um und um mitbestimmende Nationalliteratur.
Eine geniale, vor allem: eine so umfassend „breite" Begabung wie die
Maarten Maartens' fand in dem reichen und gepflegten, übrigens keines-
wegs ungeistigen, jedoch schlechterdings nicht schöngeistig-Iiterarischen Lande
wenig Widerhall und konnte nicht viel davon finden. Seine Werke sind
nicht einmal sämtlich im Holländischen erschienen. Gäbe es in solchen Din-
gen eine „Wahl" — in Maartens' Leben hätte es vielleicht einmal scheinen
können, er habe die Wahl zwischen Deutschland und England als Wir-
kungsfeld. Es entschied sich, daß die angelsächsische Welt seine literarische
Heimat wurde. Dennoch war Maartens, auch literarisch, kein Angelsachse.

Wer auch nur diese Novellen liest, spürt es alsbald. Da ist eine so liebe-
volle Hingabe an die Geistigksit und Menschlichkeit anderer Nationen, wie
sie im englischen Schrifttum kaum begegnet, in „Narr und Idiot" und
„Simpel" ein Sinn für düstere Tragik, welcher weit mehr östlichen Ein-
schlag verrät. In der Tat war Maartens' Vater aus dem Osten einge-
wandert.

Dem Standort des Dichters: auf dem Boden einer Heimat und dennoch
frei zwischen den Nationen, entspricht die soziale Haltung. Welcher Gesell-
schaftschicht gehörte er? Aus manchem dieser Stücke wird man auf die
Aristokratie schließen. Hinwiederum steht Maartens allen Sitten und Sitt-
lichkeiten, deren inneres und äußeres Walten er kennt und kennzeichnet, mit
vollkommener Freiheit gegenüber. Niemals fühlt man ihn für die Geltung
einer überlieferten Meinung Partei ergreifen. Mit einer selbstverständ-
lichen Reife nimmt er seinen Standpunkt jenseits vom Gut und Böse der
Gewohnheit. Kein Satz fällt für die Erhaltung der Lhe im „Letzten Wort";
im Gegenteil, eine freudige Stimmung begleitet dieses Durchbrechen der
Persönlichkeit, eine leise und doch scharfe Ironie gegen den konventionell
gebundenen Mann. Keine Silbe zeugt von Nnterwerfung unter die Kon-
ventionen des Adels in „Herzogin Eleonore"; im Gegenteil: auch hier
ironisches Lächeln. Intellektuelle Äberlegenheit spricht überall, die weiß,
daß Sitte und Sittlichkeit des Alltags nun eben sein müssen, bestand-
sichernder Teil des Zusammenlebens, daß aber ihr jeweiliger Inhalt bei
den Huzulen nicht minder wertig oder minder achtbar ist als in London
oder dem Haag . . . Darüber hinaus jene lächelnde Geistigkeit, welche
das Vorurteilhafte aller tieferen Gläubigkeit an diese Inhalte erkennt und
als all-menschlich würdigt, ohne etwa darum in dis hitzige Befreierstim-

* Im Verlage Albert Langen erscheint eine Ausgabe der Werke Maarten
Maartens'. Fertig liegt davon in neuer Fassung vor „Der Preis von Lis
Doris". Neuerdings erschien cin Band Novellen. Die Einleitung dieses Vandes
drucke ich hier gekürzt ab. — Die Äbersetzerin dieser zum ersten Male erschei-
nenden, wundervollen Erzählungen, von denen der Kunstwart im Ianuar lst22
„Das Liebesleid" brachte, ist Eva Schumann.
 
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