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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 4 (Januarheft 1924)
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Fischer, Eugen Kurt: Wider die Zeitkrankheit
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Dhammapadam
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0111

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Leben zu gestalten und ihm so, von uns aus, einen Sinn zu geben. Nicht
wird in Zeiten wie den unsern solche Verpflichtung von uns genomnrenl
sie gilt im Gegenteil erst recht: Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten!

E. K. Fischer

Dhawmapadaw

ir werden überschüttet mit Östlichem. Aberkluge führen es zurück auf
5/ F Hdie Konjunktur: Abersetzungen, Neuausgaben, nur tzerausgegebenes
und nicht Selbstgeschaffenes — dergleichen macht weniger Kosten
als „Originalwerke". Doch die Erklärung ist salsch, weil sie nur ein kleines
Nebenmotiv trifft. In Wahrheit durchleben wir, so wenige es auch wissen,
den Beginn einer vielleicht Iahrtausende währenden Verschmelzung von Ost
und West. Rasch, kühn und brutal Haben wir dem Osten das unsere ausge-
drängt, das er so leicht nicht verdaut: Technik, Gifte, rationale Wissenschast,
europäische Formen in Tracht, Geselligkeit und Diplomatie. Langsam, unauf--
dringlich und milde reicht er uns, was uns noch immer sast unfaßlich bleibt:
seine Kunst und seine Weisheit.

Immer wieder haben wir, die wissenschaftlich Erfahrenen und Wohlaus-
gebildeten, eilig vermeint, das uns so sanft Gereichte schon verstanden, schon
— wie deutsch-europäische Geschäftssprache es nennt — erledigt zu haben.
Doch immer wieder — und auch daran hat die strenge Wissenschaftlichkeit
des Westens ihr Verdienst! — ersahren wir, daß es neu erobert, neu nach-
erlebt werden will, daß neue und stärkere Verkündigung die ältere und
leichter zugängliche verdrängt und uns zum dritten, vierten, fünften oder
zehnten Male vor die alte Aufgabe stellt. Es ist gut so. Die Gabs ist so un-
ermeßlich, so unübersehbar, daß Eilfertigkeit nur frech und kindisch wäre.

Vielleicht das Anermeßlichste, Nnvergleichbarste, was zu uns dringt, ist
Buddhas Lehre. Der diese Zeilen schreibt, ist kein „Fachmann", hat aber
seit früher Iugend aus starker Aeigung „buddhistische" Bücher gelesen. Lang-
sam tieser eindringend, habe ich erfahren, daß sich das wahre Bild nur
stiller Hlngabe entschleiern mag; und vor allem: daß nur ganz wenige
Bücher deutscher Zunge vom Hauch des Echten umwittert sind. Unwahr-
scheinllch leicht entstellt deutsche Abersetzung das weise Wort bis zur Un-
kenntlichkeit. Mir scheint heute: aus dem Kern der östlichsn Wahrheit
herausgeschaffen ist ganz weniges,- in erster Reihe aber Karl Eugen Neu-
manns Werk.

Vor dreißig Iahren hat Neumann die uralte und zu den reinstsn Zeug-
nisseu gehörende Spruchsammlung „Dhammapadam", sein übersetzerisches
Iugendwerk, zum ersten Male herausgegeben. Sie liegt nun endlich in
der zweiten Auflage vor, überschrieben: Der Wahrheitpfad (Piper>LCo.,
München). Heute endlich erinnert man sich ihrer, da immer mehr Stim-
men von Indien herüberklingen, dem zauberhaften Lande, das unter dem
Himalaja in Frucht und Sonne gekleidet liegt, aus dessen reichem Schoße
tausend Buddha-Bilder steigen, auf gekreuzten Schenkeln sitzend, seltsam
die Finger breitend oder faltend, seltsamer geschlossene Lippen schwingend,
unkenntlich hinschauend über das Menschtum Hinweg in ihren ewigen
Frieden. Und die Stimmen der Statuen klingen herüber und sagen ihre
große reife Lehre, die einsach ist, als hätten wir sie längst gewußt, und un-
ausführbar fremd bleibt. „Geht, schaut euch an die schöne Welt, die wie
ein Königswagen gleißt — Nur Torsn sind hineinverstrickt, — Kein Land
hält mehr den Wissenden". Lächelt Buddho? Es war wohl TLuschung:

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