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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0079

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gibt das Glück universeller Liebe. Sie befreit aus den Banden enger per--
sönlicher Leidenschaften und.weltlicher Sorgen. Sie gibt Freiheit, Weite
und Schönheit dem Denken und Fühlen der Menschen und all ihren Be-
ziehungen untereinander. Sie.bringt die Lösung der Zweifel und läßt das
Gefühl verstummen, daß alles eitel sei. Sie stellt die Harmonie zwischen
Verstand und Instinkt wieder her und führt das losgelöste Individuum zu-
rück an seinen Platz im Leben Äer Menschheit. Allen, die in das Reich des
Gedankens eintraten, kann nur eine Vergeistigung Frieden und -Glück zurück--
geben.

Vom Aeute fürs Morgen

Natur

ie Matur, ewig groß, ewig wirkend,
wandelt in ihren Formen einher
ohne Tragik, ohne Sentimentalität. Fn
einer fast grauenhaften, skrupellosen
Äberfülle schafft sie heute, wirft sie
morgen wieder weg: Starres, Leben-
diges; einzelne Wesen, ganze Eat-
tungen, Sternenshsteme. Wer nnter«
fängt sich, ihr eine Absicht anzudeu-
ten? Sucht sie auf allen erdenklichen
Wegen die Steigerung aus dem Stoff
in das Leben nnd von da in den Geist,
oder wandern ihre irgendwie einmal
zerschleuderten Elemente durch Mil--
liarden Zwischenwandlnngen zurück nach
einer endlichen Ruhelage, in der alle
Kräfte und Triebe hingeloschen sind?

Sentimentalität, Tragik: beide sind
allznmenschlich; sie wollen das Ge-
wordene oder das Einzelne heraus-
heben aus dem großen Fluß der
Wandlungen, erschüttert vielleicht von
der Gestaltsicherheit dieses Einmaligen,
nnd sie trauern, wenn es zerbrochen
oder gar achtlos beiseite geworfen wird.

Natur trauert nie. Sie fragt nicht
nach Glück noch Änglück — sie wandelt.
Und achtet des Einsatzes nicht. Um
wenige Früchte einer Art zu sichern,
läßt sie Tausende sich runden, ver-
streut sie vorher an Blütenstaub, was
für Millionen gereicht haben möchte.
Das ist ihre ökonomie. Aberall, wo
sie schafft.

Es ist die Ökonomie des Lebens,
des Werdens. Wir Menschen glau-
ben, daß ein guter Gedanke, eine
Tat schon Ernte zeitigen müsse? And
sind beleidigt, wenn der Lauf der Dinge
unseren Kräfteinsatz nicht wichtig nimmt,
ihn vielleicht ganz übersieht? Woher

nehmen wir diese Anmaßung? Millio-
nenmal muß gedacht, muß lebendig
getan werden, damit ein Weniges sich
wirkliche. Ieder Ernste, wenn er leisteu
will, muß sich mit dieser kühlen Wahr-
heit abfinden. Kein Mißerfolg, keine
vorzeitig zweifelnde Müdigkeit darf
uns die Hände in den Schoß sinken
lassen.

Es muß millionenmal gesät, mil-
lionenmal gedacht und lebendig getan
werden, damit vielleicht nur eine ein-
zige Frucht sich runde.

Auch im Garten der Menschheit
und des Geistes. m. e.

Drei Erzählungen

nter vielen Büchern, die ich in die-
sen Wochen las — mit der Absicht,
las, „ihren Wert zu bestimmen" —
waren einige starke, bedeutende, einige
törichte, einige unsinnige, aber eins
war unter den fünfundzwanzig, bei
dem ich vergaß, daß ich etwas darüber
schreiben sollte. Ehe ich es noch merkte,
war ich von meiner stolzen Warte
heruntergestiegen und lebte dort, wo-
hin das Buch mich leise führte. Nun
kann ich nicht recht urteilen. Gewiß
ist nicht wichtig, was da erzählt wird,
aber ich habe es mit innigem, selbst-
vergessenem Anteil lesen müssen. Das
Buch heißt: „Das Haus am Haff".
Hugo Marti hat es geschrieben (er-
schienen im N.hein-Verlag, Basel). Da
ist vor allem das Haff. And vom tzaff
steigt mit dem Laut des Wassers Stille
auf. Stille sickert durch die Wände des
alten Schlosses, umgibt, tränkt alle
Gegenstände und erfüllt die kranke
junge Frau am Fenster. Stille peinigt
ihren gesunden Mann. Uber den Iüng-
 
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