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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 4 (Januarheft 1924)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0134

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kampf der Meinungen als die „deutsche Freiheit" schlechthin verkündet
und damit entwertet. Solches Verhalten in das Treiben eines ganzen
Volkes hineindeuten, das hieß: die Ausreden-Wirtschaft der Feigen und
Anterwürfigen bemänteln und lügenhafter Bequemlichkeit einen philoso-
Phischen Freibrief ausstellen. Die „absolute Lösung" des Freiheitproblems
liegt aber in der Tat in dieser Möglichkeit.

^m inneren tzaushalt des Einzelnen aber erstirbt Freiheittrieb auch
Onach vielfältig erreichter Beruhigung nicht. Er bleibt wachsam als
Hüter des ihm zugebilligten Rechts und als Antrieb zu tätigem
Leben. Aus alle umgibt tausendfach unfreiwilliges Sklaventum. Ange-
borene Anterwürfigkeit, Anterwürfigkeit aus berechnender Furcht und be-
rechnendem Begehren, Unterwürfigkeit aus aufsuggeriertem Glauben, es
müsse so sein; noch kennen wir Menschtum genug, das nicht einmal
den Gedanken an verwirklichbare Freiheit zu denken frei genug ist,
und Menschtum, das in dumpfem Freiheittrieb Rache, Ranküne und
Raub sinnt. Trieb nach Vergeistigung und Trieb zur Vervollkommnung
verlocken uns zur Einsamkeit, zum Ans-Selber-Leben; und wahrhaftig
ist dies nicht unedel. Liebe erst drängt uns wieder zu den Menschen hin,
und Freiheittrieb — in wunderlicher Amkehr! — erwacht aufs neue und
zwingt uns zu handeln: für Andere; gestaltend oder erweckend, jedensalls
in seinem, nun entpersönlichten, Sinne. Er nimmt, durch uns hindurch,
den Kampf auf. Aus dsm Bereich individueller Begehrnisse ausgeschieden,
enthüllt er seine weltgeschichtliche Dämonie: dieses Geschlecht, das, in un°
absehbarer Folge der Generationen, den dritten Planeten bevölkert, will
er nicht unterworfen sehen. Binden es alle Triebe, die es verfolgen und
beglücken, so wagt er allein den Kampf; und befreites Schauen erblickt im
Erlebnis des Einzelnen das Vorbild unabsehbar ferner Zukunft: daß alle
Bindungen des Menschtums kraft freiwilliger Zustimmung innegehalten
werden, der stolze Trieb zum still mahnenden Wächter sich wandelt und
zuletzt mit Furcht, Begehren und allen zweckhaften Trieben absinkt, da
das Werk der Vervollkommnung getan, die Bahn der Liebe beschritten ist
und das Tor unahnbarer Bezirke höheren Standes offensteht.

Wolfgang Schumann

Vom Heute fürs Morgen

Der gute Töpfer.

in Künstler und ein Töpfer hatten
jeder hundert Tonvögel geformt.
Aber der eine wie der andere hatte nur
noch ein kleines Schüsselchen voll
Farbe. Da weinte der Künstler, daß
er nicht alle seine Geschöpfe vollenden
könne. Aber dann nahrn er sich das
feinste aus seinen Gebilden und trug
alle Leuchtkraft und allen seltsamen
Glanz, den sein Schüsselchen noch barg,
auf dieses einzige Körperchen auf. Dann
nickte er vor sich hin, nahm die anderen
alle und warf sie auf denKehrichthaufen.

Der Töpfer war klüger. Er ver-

dünnte seine Farbe und strich seine
ganze Ware gleichmäßig an.

Bald stauten sich vor seincm Laden
die Kauflustigen. Von der wohlgeord-
neten Reihe in dem Fensterchen schien
eine geheimnisvolle, lockende Kraft aus-
zugehen. Immer mehr staunende und
entzückte Menschen sammelten sich um
den erfreulichen Anblick.

Endlich trat der erste durch die nie-
dere Tür. Da aber alle sogleich nach-
drängten, mußte der Töpfer schnell auch
die hintere Tür seines kleinen Hauses
öffnen, um den Strom der Andringen-
den zu regeln.
 
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