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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 3 (Januarheft1924)
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Wegen, B.: Jüdischer und nichtjüdischer Geist: (Aus der Analyse des Werks eines jüdischen Dichters)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0090

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Jüdischer und nichtjüdischer Geist

(Aus der Analhse des Werks eines jüdischen DichterS)

Dichter N. N. ist Iude.

/Ich sage sogleich, warum ich, der Nichtjude, das hervorhebe. Weil
ich vom elementaren Unterschied zwischen jüdischem und nichtjüdi--
schem Wesen überzeugt bin; und weil ich es für unmöglich halte, eine Er--
scheinung geistiger Bedeutung in der zweigeistigen Gegenwart gerecht
zu beurteilen, wenn nicht vorher feststeht, welchem dieser beiden Weseu
sie vorwiegend angehört.

Mit aller Betonung bekenne ich meine Äberzeugung als eine höchst
persönliche. Dennoch muß ich wohl vor allem dartun, wie ich zu ihr kam.
Die Frage, ob es überhaupt eine jüdische und eine nichtjüdische Eigenart
gibt, und, wenn es sie gibt, worin sie bestehen, wird auch heute noch jedeu
Tag neu gestellt. Sieht man sich aber nach den Antworten um, die schon
gegeben wurden, dann erkennt man sogleich, daß keine einzige — auch
keine von denen, die sich völlig wissenschaftlich gebärden — den Anspruch
auf unbestreitbare Geltung machen kann; jede kommt letzten Endes aus
der ganz persönlichen Witterung des Antworters hsr. Hier gibt es „Mei--
nungen", aber kein Wissen. Die Gründe dafür sind einfach. Geist an
sich ist nicht sichtbar. Wendet man sich an die Geschichte, um in ihr jüdi--
schen und nichtjüdischen Geist festzustellen, so ergibt sich allerdings, daß
sowohl der eine wie der andere sich in der Tatsachengeschichte offenbart und in
der Kulturgeschichte dargelebt hat. Hält man diese Ausdrücke aber auch
nur eine Sekunde lang einander gegenüber, dann wird man alsobald dazu
gezwungen, auch die Ineinanderfließungen beider Geister — die Paarungs--
ausdrücke — anzuerkennen; wer beispielsweise versucht hat, - em Einfluß
Phönikiens auf tzellas nachzugehen, wird in den bestimmendsten Anfangs--
stadien hellenischer Kultur Völkermischungen und Geistesverwebungen wahr--
nshmen, an deren geschlossenem Gefüge das Beginnen, einen Geist
greifen zu wollen, scheitert. Aber, frägt der Aufsucher des Anterschieds
begehrlich weiter, könnte man, um in größeren, daher weniger leicht
danebengreifenden Zügen zu arbeiten, etwa von „morgenländischem" und
„abendländischem" Geiste, — gar etwa von „Osten" und „Westen" überhaupt
mit Fug reden? Wnhrscheinlich mit demselben Rechte, wie von jüdischem
und nichtjüdischeml Aber mit der Erweiterung der Räume der Geister
fällt keineswegs das tzindernis ihrer Nicht-Faßbarkeit in ausschließlich
eindeutige Formen dahin; zum Schlusse erhebt sich hinter jedem scheinbar
klaren Anterschied das spöttische Bild jener ersten Wahrheit: daß Leib und
Seele des Menschen in ihren Elementen doch immer und überall dieselben
find. Gewiß, das Alte Testament ist etwas wesentlich anderes als das Neue,
wie das Abendland es annahm. Aber kann man gewiß sagen, daß dieses
Neue auch aus einem anderen Stamm hätte hervortreiben lönnen, als aus
dem des Alten? Und, andererseits, versichern, daß die Perser, die Inder,
Chinesen — aller Osten überhaupt, im Wesentlichen ganz gleichen Geistes

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