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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1924)
DOI Artikel:
Geramb, Viktor von: Deutsches Bauerntum
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0163

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DeuLschss BcmernLAnr*

enn Riehl als Gegensatz zum „Bauern von guter Art" ben „prole--
?tarisierten Bauer" anführte, so geschah dies aus einem ganz be-
stimmten Gesichtswinkel heraus.

Er faßte das Wort „Proletarier" in der altsn Bedsutung „enterbt",
„besitzlos'ü Und damit traf er in der Tat mit einem Schlage den Nagel
auf den Kopf. Denn der letzte Grund für den Unterschied jsner beiden
extrsmen sselischen Verfassungen ist tatsächlich der Besitz, das Erbe. Auf
der einen Seite haben wir da die Stammburg des Adeligsn, das Water-
haus des Bürgers, den tzof, „'s tzoamat" des Bauern als das Festbleibende,
als das Bindende, als den Stamm, an dem sich die ganze Folge vieler
Geschlechterreihen aufrankt, auf der andern Seite haben wir den Menschen
ohne eigsnen Grund und Boden, den Bewohner dsr Mietkassrne, des
Massenquartiers, der nichts sein eigen nennt als sich selbst, der durch nichts
gebundeu ist als durch seine „Individualität". Daher sehen wir rechts den
Bewahrer des Sitzes und des Besitzes, aber auch den Bewahrer alles dessen,
was das Leben am festen Eigengrund aus sich schuf und entwickelte, den
Bewahrer der alten Wirtschaftsforrn, den Bswahrer des Herkommens, der
Aberlieferung, des Brauches, der Sitte, mit einem Wort, den Bewahrer
aller gewachssnen Lebensformen, also dessen, was man mit dem Worte
„Kultur" bezeichnet, während links gerads das Gegenteil von all dem der
Fall ist. Links gibt es nichts zu verlieren als nur seine eigsne „Individuali--
tät". Nicht der Hof, sondern die Person ist dort das Entscheidsnds. ,Das
Herkommen, der Brauch, die alte Wirtschaftsform und die alte Kultur ist
sür den Linksstehsnden mindestens Nebensache, wo nicht gar Hemmung in
der Entfaltung seiner „Individualität".

Während der Hoferbe jede Veränderung scheut, daher neuerungsfeindlich,
„konservativ" ist, kann der Proletarier aus jeder Neuerung nur gewinnen,
weshalb er neuerungssüchtig, „revolutionär" gerichtet ist. Beim Bausrn
von alter Art finden wir in dsr Regel ein stark ausgeprägtes „Standes--
bewußtsein". Man denke an die zahlreichen Volksliedsr, die das „Lob des
Bauernstandes" zum Inhalte haben, oder an die vielen Hausaufschriftsn
und Wandbilder, dis denBauer nebst Papst und Kaiser als den wichtigsteu
Stand bezeichnen, „ohne den wir längst nichts zu essen mehr" hätten . . .
Der „Proletarier", aber auch der entartete Bausr fühlt sich nicht wohl in
seiner Haut. Er will hinaus, er will „was Besseres" werden, er nennt sich
— wenn er Bauer ist — mindestens „Skonom" oder „Realitätenbesitzer".
Ich halte es für eine besonders feins Beobachtung Riehls, wenn er in dieser
Tatsache, in diesem „Hinauswollen aus seiner Haut" etwas „Nsurasthe-
nisches" sieht, etwas, das das erste Anzeichen beginnender Entartung im
Bauerntum bedeutet. An Kost, an Gesundheit, an Kleidung und auch an

* Der folgende Aufsatz ist ein vorsichtig gekürzter Auszug eines Äeiles eineS
Aufsatzes aus V. Gerambs Buch „Volkstum und Heimat" (Moser, Graz;
2. Aufl. (923). Sein Verfasser ist einer der Führer des Vereins „Südmark" in
Graz, welcher Selbstbehauptung und Selbstentwicklung des Grenzdeutschtums in
den deutsch-slawischen Grenzmarken Südösterreichs mit Kraft und Erfolg anstrebt
und dazu eine umfassende Volkstumpflege treibt. Dsr Kunstwart wird die Be-
strebungen der „Südmark" in absehbarer Zeit eingehender darstellen. Die fol-
genden Betrachtungen über Charakter und Wert des Bauerntums eröffnen eine
Reihe von Aufsätzen über Bauerntum, Volkskunde und Volkstum, denen später
solche über andere Volksgruppen folgen sollen. K°L
 
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