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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

DOI issue:
Heft 5 (Februarheft 1924)
DOI article:
Liebscher, Artur: Volkstänze
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0162

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der Lüneburger Heide gesammelt und als Heidjers Tanzmusik in
der deutschen Landbuchhandlung (Berlin) herausgegsben, und von Raimund
Zoder und Rudolf Preiß ist ein über hundert Seiten starkes Heft
„Bauernmusi" aus Deutschösterreich (durch den Verein österreichischer
Wandervögel beziehbar) erschienen. Ls sind ausdrucksvoll gegensätzliche
Volkstypen, die sich da ausmusizieren. Leider beschränkt sich die norddeutsche
Sammlung auf die Klavierfassung. Das genügt zwar für die Kreise der
„Interessierten", erschwert aber die praktische Ausnutzung. Die akademische
Beschäftigung mit dieser Musik kann nicht der Endzweck srin. Sie mutz
hinaus auf die Dörfer. Die Bauern müssen diese Musik wieder hören,
wenn sie tanzen wollen. Da darf man sie nicht am Klavier spielen; das
nehmen die Knechte und Mägde nicht für voll, sie wollen das Srchester
hörenl Ganz abgesehen davon, daß die meisten Tänze eine am Klavier
ärmlich wirkende Melodie haben, während man bei dieser ausgesprochenen
Gebrauchsmusik schon aus dem bloßen Notenbilde förmlich den Zusammen-
klang von Violine und mitgeführter Klarinette heraushört! Solange also
eme Ausgabe in Stimmen nicht erscheint, empfiehlt es sich, einen richtigen
Dorfmusikus zu Rate zu ziehen und sich nach Einholung der Erlaubnis die
Stimmen aussetzen zu lassen! Hat man vollends zur Ausführung der jedem
Tanze beigegebenen Anweisungen über die Bewegungen geschickte Vortänzer,
dann müßte es sonderbar zugehen, wenn das Gesunde, Derbe und Mannig-
faltige dieser echten Volksfröhlichkeit nicht zur Nachahmung reizen und
erfolgreich den Wettstreit mit dem Kränkelnden, Schwächlichen und Ein-
förmigen der modernen Tanzgebilde aufnehmen sollte. Die Süddeutschen
ließen ihre „Bauernmusi" gleich so erscheinen, wie sie sie brauchen konnten:
in Einrichtungen für eine oder zwei Geigen, Mandolinen, Flöten oder
Klarinetten mit Lautsnbegleitung. So können sis die Wandervögel auf
ihren Fahrten ausführen. Die Dörfler werden gern mittun, wenn sich die
wandernde Iugend aus der Stadt einmal auf der Rast am Tanze vergnügt
und sich nach den kaum schon ganz vergessenen Weisen dreht, die eigentlich
Dörflertanzweisen sind. Wie stark sich die Tänzs dsr beiden Sammlungen
unterscheiden! Kaum zwei sind dabei, die man nicht aus den^rrsten Horch
hin ihrsm Herkunftlands zuweisen könnte! Aus der „Bauernmusi" klingt
jenes weiche, gefühlsselige österreichertum heraus, das sich schon in Schuberts
Tänzen ausspricht und dann Lanner und Strauß den Wiener Walzer
bilden half; die Musik der Heide kennt derbe, ausgelassene SLimmungsn,
nirgend aber die süddsutsche Weinseligkeit. Wer Sinn hat sür die Musik
der Sprache, hört wohl aus den Titeln schon das Landschaftliche heraus.
Denn es ist nicht bloß der Dialekt, der in Benennungen wie „Kontra mit
der Windmühle", „Wohlder Markschen" * oder „Föftehalfturigen mit'n
Schottschen" eine andre Musik macht als etwa in Titeln wie „Guggu--
Polka", Bandltanz oder Almerer. Daß übrigens die Süddeutschen im
ganzen als Musiker den Norddeutschen überlegen sind, daß ihnen die Melo--
dien leichter und zum Tanzen zwingender fließen, ist eine Tatsache, die,
der Musikgeschichte längst bekannt, hier aus Nnterströmungen und Volks-
tumszeugnissen sich aufs neue bestätigt.

Artur Liebscher

* D. h. Wohlder Markttanz, weil er auf der Straße von Wohlde nach Bergen
nach Schlust des Marktes getanzt wurde.
 
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