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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 15.1972

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Nr. 1
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Gaul, Dieter: Die neue Schule und die alten Sprachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33065#0017

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Die neue Schule und die alten Sprachen'"
I. Es kann keinen Zweifel geben, daß auf die Dauer ein neuer Schultyp sich
durchsetzen wird, den man vage ,Gesamtschule1 nennt. Wir wissen, daß dieser
Typ weder in seiner Organisation noch in seinen Bildungszielen schon eine feste
Form gefunden hat. Er ist parallel zur heutigen Gesellschaft erst auf dem Wege
zu sich selbst. Und mir scheint, wir sollten diesen Weg aufmerksam mitschreiten
statt schmollend zurückzubleiben. Je nach Standpunkt begleiten diesen Weg
mancherlei ,Gefahren". Einige seien vereinfacht erwähnt: Mit dem Schwinden
des Bürgertums und dem Aufstieg neuer sozialer Schichten änderte sich auch das
den Bildungsvorstellungen zugrundeliegende Menschenbild. Das öffentliche Be-
wußtsein hat sich vom Blick auf die Vergangenheit gelöst und sich fasziniert
der Zukunft zugewandt. Gleichzeitig wachsen, begünstigt durch komplizierte
Prozesse im Produktionssystem, offene Intoleranz und unterschwellige Aggres-
sionen, aber auch Gleichgültigkeit gegenüber traditionellen ,geistigen Fragen".
Technische Medien ermöglichen eine mittelbare Steuerung des Bewußtseins und
schränken den Freiheitsspielraum des einzelnen auf dem gleichen Wege ein, auf
dem sie ihn erweitern könnten. Dabei wachsen derlei Tendenzen nicht immer
auf eigenem Boden, sondern sind preiswerter Import aus den USA, wo die
Egalisierung der weißen Mittelschicht zu jenem Behaviourismus geführt hat, der
im social adjustment die Schwelle zum Paradies erblickt. Das alles muß ebenso
vage formuliert werden, wie es uns auch stets nur modifiziert im Einzelfall des
Alltags entgegentritt. Noch ist die Zukunft wohl offen, noch ist sie nicht ein-
seitig verplant. Und hier liegt die Chance der Tradition. Denn jeder, dem der
total verfügte, total ein- und zugeordnete Mensch ein Alptraum ist, jeder, der
von Emanzipation, Selbstbestimmung oder Selbstbewußtsein als Erziehungsziel
noch spricht, steht auf dem Boden der Tradition. Die Frage nach dem ,summum
bonum" muß sich ja gerade dann erheben, wenn es um Zukünftiges, um seine
Wertung und Einrichtung geht.
Nehmen wir an, die Differenzierung von Objekt und Subjekt, die Distanz
schaffende Bewußtheit gegenüber Welt, Mündigkeit genannt, werde zumindest
als ein Ziel der neuen Schule aufgestellt. Was könnten wir zu seiner Erreichung
anbieten? Es hülfe nichts, nur auf Grund der triumphierend vorgebrachten Tat-
sache, daß es sich hierbei um ein Endprodukt des griechischen Logos handle, ein-
fach zu fordern, wir müßten auch dabeisein. Auf solche Reminiszenzen hört
keiner mehr. Wir müssen ein konkretes Programm erarbeiten, in dessen Mittel-
punkt Latein und Griechisch stehen, von wissenschaftlich kontrollierten Unter-
suchungen hinsichtlich seiner Effektivität und des Transfer-Problems begleitet.
Einiges sei summarisch und nur im Ansatz skizziert.
II. Spracherwerb und Reflexion
Die als Bildungsziel angenommene Erziehung zur geistigen Autonomie ist
weitgehend Erziehung durch und zur Sprache. Unabhängig von den geltenden
Sprachtheorien können wir feststellen, daß, wer den Instrumentalcharakter von
* Auszug aus einem Grundsatzreferat vor dem Arbeitskreis für Didaktik des Altspr.
Unterrichts an der J.-W.-Goethe-Universität, Frankfurt a. M.

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