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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 27.1984

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Nr. 3
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Wissemann, Michael: Erste Dichterlektüre im Lateinunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.33084#0072

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Der zu diesem Zweck auszuwählende Text sollte
a) grammatisch und sprachlich im Interesse der Reduktion der Schwierigkeiten
auf ein Problem, nämlich die Metrik, einfach sein,
b) inhaltlich ansprechend sein, um grundsätzliches Interesse an Dichtung zu
wecken und augenblickliche Motivation zu erzeugen und
c) metrisch derartig beschaffen sein, daß er in die Grundlagen der Metrik und
Prosodie einfuhrt und durch eine konsequente Anwendung nicht zu vieler
metrischer Regeln richtiges Lesen ermöglicht.
Die hexametrische Dichtung scheidet m. E. entgegen dem üblichen schulischen
Lektürekanon aus, weil sie von musikalischen Schülern leichter gelesen werden
kann, dadurch aber das Erlernen wesentlicher Grundregeln der Metrik eher
behindert und unmusikalische Schüler davon abhält, sich das, wozu andere leich-
ter imstande sind, mühevoller systematisch anzueignen. Der Effekt der Demoti-
vierung schreitet meiner Beobachtung nach dabei mit der Dauer der Lektüre fort.
Aber auch die Elegie kommt nicht in Frage, da sie sich in der Regel sprachlich
so schwierig darstellt, daß man mit ihr eine Kumulation von Schwierigkeiten
zustande kommen ließe, die der Motivation auch nicht förderlich ist. Das gleiche
gilt für Catull, Horaz, Petron u. a., die auch vom Thema her für erste Dichterlek-
türe in der Schule nicht geeignet sind.
Hingegen dürfte Phädrus die oben genannten Bedingungen weitgehend erfül-
len. Zudem sind seine Fabeln kurz, in sich abgeschlossen und selbst für jüngere
Schüler immer überschaubar. Hinsichtlich ihrer Grammatik und Sprache sind sie
so schlicht, daß in diesem Bereich keine größeren Schwierigkeiten bei der Deko-
dierung oder im Verständnis zu erwarten sind, jedenfalls nicht bei richtiger Aus-
wahl der Texte3. Die größere Zahl unbekannter Vokabeln kann man leicht aus
dem Lexikon ermitteln lassen oder anfangs mit dem Text vorgeben, soweit sie
nicht in den jeweiligen Schülerkommentaren schon enthalten sind. Inhaltlich
dürfte der Autor die Schüler ansprechen, weil er nachvollziehbare Lebensweis-
heiten enthält, sich von daher leicht aktualisieren läßt, zugleich aber in die Litera-
tur der römischen Unterschicht einführt und es schließlich erlaubt, allgemeine
Merkmale kritischer Literatur in totalitären Systemen zu erarbeiten4.
Unter metrischem Aspekt bietet er bekanntlich durchgängig den iambischen
Senar. Dieses Versmaß weist ein relativ einfaches Grundschema auf, allerdings
3 Bei den einzelnen Verlagen gibt es eine Reihe schöner Schulausgaben.
4 Als Hinweise auf die fachwissenschaftliche Literatur seien die folgenden gegeben: D.
Bieber, Studien zur Geschichte der Fabel in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit,
München 1905; M. Nojgaard, La fable antique, 2 Bde. Ndr. Kopenhagen 1964/67;
L. Koep, Art. Fabel, RAC 7, 1969, 129-154; D. Korzeniewski, Zur Verstechnik des
Phädrus. Aufgelöste Hebungen und Senkungen in den Senaren, Hermes 98, 1970,
430-458; F. P. Knapp, Das lateinische Tierepos, Darmstadt 1979; P. L. Schmidt, Politi-
sches Argument und moralischer Appell. Zur Historizität der antiken Fabel im früh-
kaiserzeitlichen Rom, Der Deutschuntericht 31,6, 1979, 74-88; C. Cremona, Lexi-
con Phaedrianum, Hildesheim 1980.
 
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