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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Maier, Friedrich: "Weltszenarien 2000" - Ohnmacht der Antike?: Gedanken zur Zukunft der Alten Sprachen im Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0009

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hänge geriet auf solche Weise zur Zeichnung eines „Horrorszenario" aus der „Welt der Science
fiction" (so der Referent selbst), dessen Wirkung freilich weithin realistische Dimensionen hat.
Symptome der Entwicklung bemerkt ja schon der davon (noch?) nicht Betroffene. Man wird
Konrad Seitz^ These kaum widersprechen können, daß sich Europa nicht ohne böse Folgen für
alle seine Bewohner aus dem technologischen Wettstreit wird ausklinken können. Die Not der
osteuropäischen Völker steht wie ein Menetekel drohend vor Augen. Die Sicherung der
Beschäftigungslage, der sozialen Netze usw. muß gewährleistet sein. Es geht hier um mehr als
um den Erhalt des bisherigen Lebensstandards.
Und doch darf man die beschriebene Sichtweise hinterfragen; es gibt auch eine andere Seite des
Problems. Denken wir einmal - nur in Form von Fragen - die Entwicklung ins Extrem weiter! Was
wäre, wenn alle großen Volksgruppen, etwa auch China, die arabische Welt, Südamerika, in
diesen „Krieg" eingriffen. Was stünde am Ende einer solchen geradezu hektischen technologi-
schen Aufrüstung der großen Völker? Führte nicht der dauernde Konkurrenzdruck zu einem Stau
von Aggressionen, die sich dann an einem kritischen Punkt, eben wenn sich die Niederlagen
abzeichnen, tatsächlich in Feuer und Schwefel entlüden? Warum diese defaitistische Stimmung
vor der Jahrtausendwende? Europa im Niedergang, Ende der fetten Jahre, wenn der Anschluß an
die Weltspitze verlorengeht? Also Fortschritt ohne Bedenken? Sind jene warnenden Stimmen der
großen Geister unserer Zeit, deren Bücher „in einem explosionsartigen Ausmaß" gegen Ende
der 70er Jahre den Markt füllten, ungehört verhallt? „Was wird aus dem Menschen?" So fragten
selbst Nobelpreisträger unter den Naturwissenschaftlern wie K. Lorenz und W. Heisenberg,
wenn er alles, was technisch möglich ist, auch tatsächlich macht. Natürlich gibt es kein
Moratorium des Denkens und Forschens für den homo inventor. Möglich wäre allenfalls die
Besinnung-auf das letztlich dem Menschen Dienliche. Also auch hierein Bewußtsein dafür, eine
Rückbesinnung aus dem Gewissen. Müßte nicht das Umdenken in die andere Richtung
geschehen, nämlich bei den eiskalten Planern des Wirtschaftskrieges? Kennt der,Römer' Konrad
Seitz die Veröffentlichungen des „Club of Rome" nicht, etwa seines ehemaligen Präsidenten
Aurelio Peccei, nach dessen Urteil die Zukunft entweder „ein kultureller Entwurf oder nicht sein
wird". Europa also vor allem „eine Werte- und Kulturgemeinschaft", wie es Bayerns Kultusmi-
nister Hans Zehetmair in seiner Grußrede kurz zuvor betont hatte.
in einem Krieg können nicht alle Sieger sein. Muß man sich also daran beteiligen? Gibt es eine
menschenwürdige Existenz im Schatten der Supermächte nicht? Geraten diejenigen, die in
diesem Wettstreit der technologischen Revolution die Nase nicht vorn haben, also verlieren,
nicht zwanghaft neben der wirtschaftlichen auch in eine psychische Depression? Und wer gibt
den Menschen solcher Länder die seelische und moralische Stabilität, diesen Leidensdruck
auszuhalten? Hängen Fragen des menschlichen Glücks wirklich nur an den Umsatzmiiliarden
einzelner Technologiebereiche und an den Prozentanteilen an der Weltwirtschaft? Erstaunlich,
daß der gelernte Altphilologe Konrad Seitz diese eher humanistische Dimension des Dilemmas
mit keiner Silbe berührte. Offensichtlich liegen die Welten zu weit auseinander, als daß sich hier
eine Verbindung angeboten hätte. Fächer wie Griechisch und Latein sind - auf den ersten Blick
betrachtet - unendlich weit vom Denk- und Planungshorizont der Gestalter jener „Weltszenari-
en 2000" entfernt. Die Antike scheint in solchen Konzepten der Zukunft keine Chance zu haben.
Sind ihre Vermittler also gegenüber den Bildungsaufgaben, die an der Jahrtausendschwelle zu
erkennen sind, gänzlich ohnmächtig? Allein auf sich gestellt können sie auf diese Existenzfrage
mit Sicherheit keine stichhaltige und akzeptable Antwort geben. Sie sollten, durch diese
Prognosen des hochinteressanten Referats von Konrad Seitz hellhörig geworden, darauf achten,
was die Geschichts-, Ethik-, Religions-, Philosophie- und Deutschlehrer dazu sagen werden;
denn auch sie müssen sich durch das gezeichnete Zukunftsbild stark herausgefordert fühlen.
Das bedeutet: Den Alten Sprachen wird eine Aussage über ihren Stellenwert im zukünftigen

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