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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Nr. 2
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Munding, Heinz: Rückblick auf drei "Denkrichtungen" in Heft 1/93
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Zur Diskussion gestellt
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0064

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noch keineswegs ganz erloschen zu sein; jedenfalls scheinen das die Kollegen vom Bielefelder
Ratsgymnasium, die uns im selben Heft gut verwertbare Argumente für die Wahl des Griechi-
schen in der Kollegstufe vorgelegt haben, noch so zu sehen (vgl. daselbst das auf S. 20 unten
Gesagte).
DR. HEtNZ MuNDiNG, 6721 Schwegenheim

Zur Diskussion gesteüt

Zum Homo-mensura-Ausspruch des Sophisten Protagoras
(zu Dr. Norbert Gertz, MDAV 1/93, S. 19 f.)
In diesem Beitrag mißfällt mir die Deutung des bekannten Homo-mensura-Satzes (Selbstgewißheit?),
abgesehen davon, daß Protagoras bekanntlich ins 5. Jahrhundert gehört [Druckfehler; Red.].
Zunächst gilt es festzuhalten, daß ein verstümmeltes Zitat nicht selten einen unzutreffenden Sinn
ergibt. Unverkürzt lautet nämlich der Lehrsatz des Protagoras: „Der Mensch ist das Maß aller
Dinge, der seienden, daß sie sind, der nichtseienden, daß sie nicht sind". Das Seiende vom
Nichtseienden zu unterscheiden steht allein dem einzelnen Menschen als dem entscheidenden
Subjekt zu; der urteilende Mensch ist es, der alle Dinge mißt. Die Begriffe Wahr, Gut, Schön,
Gerecht sind nur relativ; es gibt keine absolute Wahrheit, und über alles kann man streiten, und
jedem aufgestellten Satz kann man widersprechen. So wurde letztlich alle Wissenschaft in Frage
gestellt, auch die Religion. Denn Protagoras behauptete auch: „Von den Göttern vermag ich
nichts zu wissen, weder daß sie sind, noch daß sie nicht sind, noch wie sie ihrer Gestalt nach
beschaffen sind". Aus dieser skeptischen Grundhaltung leitete der berühmte Zeitgenosse des
Perikies dann das Recht ab. Mit Hilfe einer raffinierten Rhetorik, TbvfyrnD Zdyov KperrRD notetv,
die schwächere Sache zur stärkeren zu machen und umgekehrt.
Der obige Kern- und Leitsatz des Relativismus darf folglich nach dem heutigen Stand der
Klassischen Philologie nicht mehr länger als Ausdruck eines prometheischen Überlegen-
heitsgefühls verstanden werden, im übrigen sollte man nicht übersehen, daß es sich bei dem jede
objektiv-absolute Norm auflösenden Individualismus des Protagoras „nicht etwa um zynische
Frivolität und ethisch-skrupellose Dekadenz handelt, sondern, im ganzen, um einen dialektischen
Prozeß, der, vom Ontologischen und Theologischen ausgehend, infolge seiner eigenen Gravitation
auch vor dem ethisch Normativen nicht haltmachen kann und auch so noch mehr formal-
erkenntnistheoretisch als moralistisch bzw. antimoralistisch gemeint ist. Für spätere Mißverständnisse
freilich ist das 5. Jahrhundert selbst kaum haftbar zu machen" (Otto Seel).
Vielleicht wäre es schon eine gewisse Hilfe, wenn man sich angewöhnen könnte, das
griechische Wort peipov nicht einfach als Maß zu verstehen, sondern als Werkzeug zum
Messen, als Meßmittel, wobei es allerdings unzutreffend wäre, die Beziehung zum Bereich der
Religion gänzlich auszuklammern. Denn es ist doch wohl kein Zufall, daß Platon, der
bekanntlich die Sophistik entschieden ablehnte und bekämpfte, unverkennbar auf Protagoras
zielt, wenn er in seinem Alterswerk, den Gesetzen (IV 716 c), mit der ihm eigenen Frömmigkeit
hervorhebt: 6 Sfj ideog pplv Ttd.vtrüv ypppdiojv peipov av etr) paMcia.
DR. HELMUT W. APFFEL, 6660 Zweibrücken/Pfalz

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