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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Nr. 2
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Aktuelle Themen
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Munding, Heinz: Rückblick auf drei "Denkrichtungen" in Heft 1/93
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0063

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wieder korrigieren kann, sondern einem technotogischen Prozeß, der, in Wesen der Welt
geheimnisvoll verankert, unerbittlich über ihre Köpfe hinweg abrollt. Unberücksichtigt bleibt
dabei eine Tatsache, die neuerdings von kritischen Kulturphilosophen oft betont worden ist und
die wir, wie ich meine, gerade als „Humanisten" auch unsererseits betonen sollten: die
Tatsache, daß wir ja se/ber, bzw. unsere europäisch-neuzeitlichen Vorfahren, diesen Prozeß in
Gang gebracht haben. In Wirklichkeit ist es doch so, daß wir, nachdem wir dabei eine Zeit lang
unbestreitbar erfolgreich gewesen sind, uns inzwischen in Probleme verstrickt haben, die die
Existenz unserer Gattung, ja der ganzen höheren Lebenswelt auf dieser Erde, bedrohen.
2. Die besorgten und kritischen Fragen, die Maier als Altphilologe an die besagte Denkrichtung
stellt, können uns dann unmittelbarzu einer genau entgegengesetzten Denkrichtung hinleiten,
die uns im selben Heft vorgeführt wird: der des amerikanischen Medienforschers Ne/7 Postman.
Zu danken ist hier zunächst J. Klowski, der sich um die Rezeption dieses Autors in unsere
didaktische Reflexion schon früher verdient gemacht hat, und jetzt eben auch A. Fritsch, der
dadurch, daß er aus Postmans jüngstem Buch eine längere Reihe von uns besonders interessieren
müssenden Passagen zitiert, uns gewissermaßen erst so richtig „Appetit" auf diesen Autor
macht. Zuzugeben ist wohl, daß Postmans Analysen, die immer wieder um die in jüngster Zeit
erfolgte Überlagerung der alten Buch- und Lesekultur durch die neuen elektronischen Medien
kreisen, uns keine d/rebfe Hilfe für unsere Tätigkeit „vor Ort" geben können. Aber Aufklärung
über die Gründe, aus denen unsere Schwierigkeiten erwachsen (z.B. die rapide abnehmende
Lesefähigkeit der Schüler), kann vielleicht unsere Widerstandskraft stärken und zu gezielten
Gegenmaßnahmen führen. Pointiert möchte ich sagen, daß wir Postman nicht nur deshalb als
„humanistischen" Bundesgenossen betrachten müssen, weil er in seinem Buch „Das Techno-
pol" von einer Stelle in Platons „Phaidros" ausgeht, sondern vor allem deshalb, weil er Sätze
schreiben kann wie diesen: „Der Widerstandskämpfer wahrt eine... Distanz zur Technik, so daß
sie ihm stets sonderbar erscheint und n/ema/s unauswe/cb/fcb, n/ema/s se/bsfversfänd//cb"
(zitiert bei Fritsch auf S. 24 Mitte, Hervorhebungen von H.M.).
3. Eine mehr strategisch oder „fachpolitisch" orientierte Überlegung, die gleichfalls unsere
Aufmerksamkeit verdient, führt uns schließlich Klowski in seinem o.g. Beitrag vor. Daß Klowski
unsere Sache schon mehrfach nach „draußen" hin engagiert und erfolgreich vertreten hat, muß
hier wohl nicht eigens unterstrichen werden. Die Frage scheint mir aber, ob er jetzt mit seinem
Begriff der „Schlüsselqualifikation", den er an die Stelle des älteren Begriffs der „Allgemeinbil-
dung" zu setzen vorschlägt, nicht einen Schritt zu weit geht. Gewiß, auf der politischen Bühne
muß man sich mitunter dem Gegner, in einer Art von mimicry, in gewissem Grade anpassen;
wenn man jedoch den Anschein zu erwecken versucht, als säße man doch eigentlich selber
mitten in dessen Zitadelle, so übertreibt man damit m.E. den „liebevollen Widerstand". Denn
„Schlüsselqualifikation" erinnert nun einmal, wie Klowski selber sagt, unmittelbar an „Schlüs-
selindustrie"; und damit würden wir m.E. eben doch, um mit Postman zu reden, wieder in die
zentrale Sphäre des „Technopols" geraten. Wer die (Leidens-)Geschichte des altsprachlichen
Unterrichts einigermaßen kennt, weiß, daß solches Mitgehen mit der Mode immer wieder
versucht worden ist und uns dabei, langfristig gesehen, eher geschadet als genützt hat. Wir
sollten also, wenn wir zu unserer Verteidigung nach „draußen" sprechen, besser bei der alten
Vokabel der „Allgemeinbildung" bleiben. Auch scheint ja die Werbewirkung, die von dieser
Vokabel auf die breitere Öffentlichkeit (angefangen bei den Eltern unserer Schüler) ausgeht,

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