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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Aktuelle Themen
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Krefeld, Heinrich: Das Umfeld und die Ziele von Latein 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0011

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Ende der 60er fahre den Garaus machen wollten, auf sie keinen nachhaltigen Eindruck mehr
macht. Aber: sie sind vorsichtig. Deshalb meiden sie jedes unnötige Risiko, was man möglicher-
weise eingeht, wenn man sich für Latein 1 entscheidet und ihr Kind im Lateinischen versagen
sollte; denn Latein gilt bekanntlich als schwieriges Fach.
Werden diese Schwierigkeiten für die Schüler durch Veränderungen des Umfeldes nicht noch
größer, als sie vielfach und weithin betrachtet werden? Auf die in der didaktischen Literatur
beschriebenen entwicklungs- und lernpsychologischen Voraussetzungen bei den zehn- bis
dreizehnjährigen jungen und Mädchen möchte ich hier nicht näher eingehen. Das in ihr
Gebotene bedarf keiner Korrektur, wohl einiger Ergänzungen. Ich möchte insbesondere auf
folgendes verweisen: Die Leseerfahrung läßt nach; der Fernsehkonsum steigt. Visionelle
Eindrücke werden immer prägender, überlagern sich andererseits sehr schnell. Die Reizüberflutung
nimmt zu. Darüber hinaus sind immer mehr Kinder nachmittags sich selbst überlassen oder
werden durch außerschulische Aktivitäten stark beansprucht. Auf sie legt ein relativ großer Teil
der Eltern Wert, zum Teil als Ersatz für die fehlende häusliche Betreuung. Sie wirken sich
schulisch positiv überwiegend in den Fächern Sport, Musik oder Informatik/Technik aus.
Auch die Lehrerkollegien gehören m.E. zum Umfeld unseres Unterrichts. Seit der Auflösung der
gymnasialen Typen in den alten Bundesländern - von der Entwicklung in den neuen, in denen
sich viele Tendenzen noch nicht eindeutig zuordnen lassen, habe ich recht unterschiedliche
Eindrücke - und der Einführung des komplizierten Kurssystems kann von einem ernsthaften
Bemühen, in Gesamtkonferenzen die zum Teil sehr stark divergierenden Fachinteressen auf
grundlegende, allgemeine gymnasiale Ziele hin auszurichten, kaum noch die Rede sein. Das
allgemein Verbindende erschöpft sich nämlich weitgehend in der Bewältigung organisatori-
scher Fragen und Probleme, sieht man von der Gestaltung von Schulfesten und gelegentlichen
fächerübergreifenden Projekttagen einmal ab. Die Fachinteressen überwiegen. Auf Grund der
viel zu großen Wahlmöglichkeiten der Schüler nehmen unter den Lehrern das Konkurrenzdenken
und das Werben für die eigenen Fächer ebenso zu wie das Schielen der Schüler auf die Zensuren.
Viele Kollegien werden auch zusehend immobiler, entwickeln sich in zunehmendem Maße zu
einer geschlossenen Gesellschaft, weil kaum noch jüngere Lehrer nachrücken, sei es, weil die
Schülerzahl stagniert oder zurückgeht, sei es, weil die Gymnasien, so etwa in NRW, von den
Sparmaßnahmen der Regierungen stärker betroffen werden als die Gesamtschulen. In diesen
Kollegien kommt die stark repräsentierte 68er Generation langsam in die Jahre. Wenn unter ihr
der ehemals starke gesellschaftsverändernde Impetus auch nachgelassen haben mag, aus
welchen Gründen auch immer, so heißt das noch lange nicht, daß man einem humanistischen
Bildungsfach wie dem Lateinischen eine zentrale Position im Fächergefüge wieder einräumen
möchte, mögen die Lehrerinnen und Lehrer des Lateinischen noch so nette, sympathische
Kolleginnen und Kollegen sein.
Vom zunehmenden Lehrermangel dürfte das Lateinische wohl auch stärker betroffen sein als
andere Fächer, jedenfalls in NRW. Ich denke hierbei nicht nur an neue Frequenzvorgaben zur
Bildung von Kursen, sondern auch an die Neueinstellung von Lehrern. Während nämlich
draußen vor der Tür hochqualifizierte junge Kolleginnen und Kollegen auf Einlaß in die Schulen
warten, werden im Rahmen von Sparmaßnahmen fest angestellte Lehrkräfte mit anderen
Lehrbefähigungen, die im Lateinunterricht ausgeholfen haben, in Sonderkursen zu einer Art
Ersatzfakultas geführt, damit Schlimmeres, d. h. Unterrichtsausfall, vermieden wird. Also eine
sehr zweischneidige Maßnahme, zu der man in den neuen Bundesländern aus völlig anderen
Gründen vielfach gezwungen ist.

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