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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Aktuelle Themen
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Steinthal, Hermann: Ein internationales Horaz-Symposium in Tübingen (6.-10.10.1993)
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0145

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Zweieinhalb Jahrhunderte tiefer in die Vergangenheit als dieses 18. Jahrhundert mit seiner
HochblutederHorazverehrung führten zwei Darbietungen, die der musikalischen Horazrezeption
gewidmetwaren: Der Vortragvon Manfred Hermann Schmid (Tübingen) über,,Horazvertonungen
um 1500 aus dem Umkreis von Conrad Celtis" sowie - vom Auditorium mit enthusiastischem
Beifall aufgenommen - der musikalische Beitrag bei der Eröffnungsveranstaltung: Ein
Solistenquartett des Rundfunkchors brachte horazische Oden in der (die Odenmaße nach
Längen und Kürzen getreu aufnehmenden) Vertonung von Paul Hofhaimer (1459 - 1537) zu
Gehör, unübertrefflich exakt und zugleich horazisch-leicht und bewegt. Ähnlich lebendig
erwies sich der,Freund des Abendlandes' bei der Abendgeselligkeit des zweiten Kongreßtages,
wo aus dem polyglotten Teilnehmerkreis zwei seiner Oden in deutscher, englischer, französi-
scher, italienischer, spanischer, neugriechischer und ungarischer Übersetzung vorgetragen
wurden.
Etwa die Hälfte der Vorträge galten sodann speziellen Themen oder Werken des Dichters. Ein
ganzer Nachmittag war der Ars Poetica gewidmet. Das einleitende Referat von Bernard Frischer
(Los Angeles) gab einem hochkarätig besetzten Podium (mit Frischer, Manfred Fuhrmann aus
Konstanz, Eckard Lefevre aus Freiburg, Maria Moog-Grünewald aus Tübingen, Gustav-Adolf
Seeck aus Frankturt und Rudolf Sühnel) Gelegenheit zur Diskussion über die horazische Poetik.
Den Abschluß des Nachmittags bildete Sühneis Vortrag über die Ars Poetica in der englischen
Literatur, hochgelehrt, weitausgreifend und von so viel fesselndem persönlichem Ergriffensein
geprägt, daß er vom Publikum trotz 1 3/4-stündiger Dauer mit besonders herzlichem Beifall
bedachtwurde.-Anden anderen Tagen beleuchteteMarioLabate (Florenz) neudievielverhandelte
Frage der literarischen Einordnung der horazischen Sermonen und des Unterschiedes zwischen
deren beiden Büchern (,,Sermo oraziano e generi letterari"), Ekkehard Stärk (Leipzig) sprach
über,,Wallfahrten auf der appischen Straße - das Iter Brundisinum und der Tourismus", Konrad
Vollmann (Eichstätt) über „Erziehung zur Humanität: Horaz und die Satire", Michael C. J.
Putman (Providence) über "Ode III 14 and Horace's Designing of Augustus" sowie Helmut
Krasser (Tübingen) über „Spötter, Büßer oder Künstler. Zur Rezeptionsgeschichte der Ode I 34".
Eingerahmt war die ganze Tagung von der Frage der Aktualität Horazens: Bei der Eröffnung hielt
Viktor Pöschl den Festvortrag zu diesem Thema, und am letzten Halbtag wurde es
wiederaufgegriffen, zuerst im Vortrag von Volker Riedei (Jena) unter dem Titel „Zwischen
Ideologie und Kunst - Bertolt Brecht, Heiner Müller und Fragen der modernen Forschung",
wobei neben anderem auch die heute diametral auseinandergehenden Forschungsansichten
über das horazische Verständnis des berüchtigten Verses c. III 2,13 (Dulce et decorum ...) zur
Sprache kamen. Den Abschluß des Ganzen bildete eine "table ronde" mit Erika Simon
(Würzburg), Zsigmond Ritoök (Budapest), Viktor Pöschl, Walther Killy und dem Verfasser dieses
Berichts unter der Moderation von Helmut Krasser über „Die Aktualität der Dichtung des
Horaz". Daß ein großer Dichter jeder Zeit Zeitgenosse sein kann und dies in wechselnder
Intensität und Extensität ist, und daß (gerade auch bei strengem Begriffsgebrauch) ein bestimmtes
Aktuelles immer in Beziehung zu einem allgemeineren Potentiellen steht, zeigte, daß letztlich
niemand über die Aktualität eines Genies wie Horaz Endgültiges feststellen kann. Dies ist
bedenklich und bestärkend zugleich.

HERMANN STEINTHAL, Tübingen

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