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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0015

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II Hinführung

torischen Forschung vielfach als durch Gewalt geprägt angesehen wird und
man lediglich diskutiert, wie diese Gewalt zu deuten sei V Insbesondere die
deutsche Mediävistik hat sich dezidiert mit dem Bild der ungehemmten Ge-
waltausübung auseinandergesetzt und Kontrapunkte gesetzt, indem sie z. B.
verstärkt die Regelhaftigkeit der Fehdeführung oder friedliche Mechanismen
der Konfliktlösung erforschte. Aber auch der Blick auf die Beschränkung und
Vermeidung von Gewalt betont indirekt deren Bedeutung - sowohl für die
mittelalterlichen Gesellschaften als auch für die heutige Forschung.
Fragestellung
Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, die mittelalterliche Vorstellung von Gewalt
zu untersuchen.^ Grundlegend ist dabei die Annahme, dass Gewalt als so-
ziale Verhaltensform in ihrer Ausübung und ihrem Verständnis kulturell
bedingt istA Sowohl vor dem Hintergrund des heutigen Denkens über Ge-
walt als auch von dem breiten Raum ausgehend, den Gewaltdarstellungen in
den uns überlieferten Quellen einnehmen, soll die mittelalterliche Sicht auf
Gewalt in ihrer kulturellen Alterität herausgearbeitet werden. Gert Melvilles
Diktum, der Umgang mit Gewalt sei geradezu ein ,identifikatorisches Ele-
ment einer Kultur'^" soll dafür als Leitthese dienen. Es geht dabei nicht um
die Rekonstruktion und Analyse von Handlungen an sich, sondern um deren
konsequente Historisierung: Der gezielte Blick auf Darstellungsweisen, In-
terpretationen und Wertungen soll so zu einem besseren Verständnis der
Bedeutung führen, die Gewalt für die mittelalterliche Welt hatte. Wie wurde
über Gewalt gedacht? Uber welche Gewalt wird in den Quellen berichtet, wie
wird sie beschreiben, wie gewertet? Wie wurde die Gesellschaft durch Ge-
walt geprägt? Die Fragestellung steht damit in ihrer Ausrichtung den Ideen
nahe, die Hans-Werner Goetz unter dem Schlagwort der „Vorstellungsge-
schichte" entwickelt hat, wonach die Subjektivität jedes Textes selbst zum
Untersuchungsgegenstand wirdA Zwar spricht jeder Autor zunächst nur für
sich und kann nicht als Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Mentalität
gelesen werden. Thematisierungen bestimmter Phänomene häufen sich je-
doch, Perspektiven und Meinungen ähneln oder widersprechen sich und
lassen somit auf breiter Quellengrundlage wiederkehrende Strukturen er-
kennen. Das Pendel schwingt also zwischen individuellen und kollektiven
Perspektiven - eine Unschärfe, die produktiv umgesetzt werden soll. Damit
kann der Kritik Claude Gauvards begegnet werden, die anmerkte, dass auch

Allmand, The War and Non-combatant, S. 165; Schuster, Maisonnee, S. 548; Beaune, Les
Monarchies medievales, S. 135; Melville, Exkurs, S. 120-134; Auer, Formen, S. 17-19; Meyer-
son/Thiery/Falk, Introduction, S. 4—6.
i8 Für eine Arbeitsdefinition des Gewaltbegriffs siehe S. 34f. dieser Arbeit.
Vgl. dazu Nunner-Winkler, Überlegungen, S. 30f.; Reemtsma, Vertrauen, S. 190 und 196.
Melville, Exkurs, S. 121. Er verknüpft damit die Fragen, was eine Gesellschaft unter Gewalt
verstehe, welche Gewalt toleriert werde, welche Gewalt unter welchen Umständen als legitim
gelte und welches Maß an Gewalt gar ein konstitutives Element der Gesellschaft sei. Siehe
auch Kintzinger/Rogge, Einleitung, S. 3-5.
Grundlegend ist dafür der bereits 1979 erschienene Aufsatz von Goetz, Vorstellungsgeschichte
[1979]. Ausführlicher siehe dazu S. 52-54 dieser Arbeit.
 
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