Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0033

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

III Orientierung

die bei ihm eher eruptive Urkraft statt soziales Phänomen istA Auch Robert
Muchembled (2008)^ und Steven Pinker (2011)6" deuten die Geschichte der
Gewalt in ihren Monographien vor allem als einen Prozess der beständigen
Zivilisierung. Muchembled betont dabei den Erfolg der CMropcoino
eines europäischen Modells, das er vor allem durch die gewalteindämmende
Wirkung des Staates geprägt sieht/" Ähnlich argumentiert Pinker: Zwar sei
Gewalt ein dem Menschen ureigenes Phänomen, günstige historische Um-
stände^ aber haben die besseren Eigenschaften des Menschen die schlechten
verdrängen lassen/^ Zivilisation wird damit als temporäre kulturelle Errun-
genschaft auf gefasst, deren Verlust den Menschen wieder gewalttätiger ma-
chen würde/3 Die Präsenz von Gewalt wird so zum Gradmesser der globalen
menschlichen Zivilisiertheit/4
Der übergreifende Anspruch solcher Theorien und Ansätze zur Deutung
von Gewalt führt jedoch in den Geisteswissenschaften häufig zu Widerspruch
und Kritik. So stellen Braun und Herberichs fest, dass universelle Konzepte
die Analyse konkreter Gewaltverhältnisse eher behindern als fördern wür-
den. Gewalt könne sinnvoll nur in der Kombination von biologischer und
kultureller Prägung verstanden werden. Da übergreifende Theorien den ein-
zelnen Fall nicht erklären könnten, sollten die Quellen besser ergebnisoffen
analysiert werden/^

Analysemodelle
Die Feststellung, die formale Struktur des Gewaltbegriffs laute „wer - was -
wem?"?6 igi go einleuchtend wie unzureichend, lässt sie doch die Frage nach
dem ,warum' außen vor. Da aber Handlungen häufig eine kommunikative
Absicht haben, liefert erst der Anlass bzw. die Intention den Schlüssel für den

6? Ebd., Bd. 1, S. 356-394. Zur Rezeption siehe: Braun/Herberichs, Einleitung, S. 12f.; Oschema, Si
fut moult grande perte, S. 97; Dinges, Formenwandel. Zum Mittelalterbild Elias' siehe Schwer-
hoff, Zivilisationsprozeß.
68 Muchembled, Histoire.
69 Pinker, Better angels; deutsche Übersetzung: Pinker, Gewalt.
70 Muchembled, Histoire, S. 8 und 55-76, der, anders als der Titel suggeriert, vornehmlich Morde
untersucht. Ähnlich Angenendt, Toleranz, S. 37: „Die pure Gewalt zu überwinden und statt
dessen Recht walten zu lassen ist Aufgabe des Staates."
7' Als /n'siorkvi/orccs benennt Pinker, Better angels, S. xxvf. die Genese des modernen Staates, den
Handel, die Gleichberechtigung der Frauen sowie Kosmopolitismus, Bildung und Rationalität.
77 Die sogenannten Mü'r angds: Empathie, Selbstkontrolle, Moral und Vernunft, bzw. die inner
&mons: Gewalt als Mittel zum Zweck, Dominanz, Rache, Sadismus und Ideologie, Pinker,
Better angels, S. xxv.
78 „Our escape from destructive contest" Pinker, Better angels, S. 693. Siehe dazu auch Walden-
fels, Aporien, S. 11. Deutlich differenzierter, aber mit gleicher Tendenz auch Angenendt, Tole-
ranz, S.21-36.
74 Umso erstaunlicher mutet die Feststellung von Scheff/Retzinger, Emotions, S. XVII an: „The
overall threat of violence is pervavise in our era, having reached what might be its highest level
in human history."
78 Braun/Herberichs, Einleitung, S. 10-14.
76 Nunner-Winkler, Überlegungen, S. 21.
 
Annotationen